Zwiebellook im Sommer

Zwiebellook im Sommer

Zwei junge Männer aus Indien als Azubis bei KUHNLE-TOURS

9000 Kilometer liegen zwischen dem südwestindischen Bundesstaat Kerala und der Müritz. Von da stammen zwei der Azubis, die in diesen Tagen ihre Ausbildung zum Kaufmann für Tourismus und Freizeit in Mecklenburg-Vorpommern begonnen haben: Mohammed Safwan (21) aus Thrissur und Anett Adams (22) aus Kollam. Im Hafen ihres Ausbildungsbetriebes KUHNLE-TOURS am Südufer der Müritz sind sie leicht zu erkennen: „Suchen Sie sich einfach die beiden Jungs mit den meisten Klamottenschichten übereinander“, sagt Azubi-Patin Jasmin Bräuer gut gelaunt.

Aus der Perspektive von Mohammed und Anett ist es durchaus angebracht, sich warm einzupacken, in diesem Mecklenburger Sommer, der auch als Herbst durchgehen würde. „Bei uns zuhause sind jetzt um die 35 Grad Tagestemperatur“, sagt Mohammed und blickt stirnrunzelnd einer Bootscrew in kurzen Hosen beim Verlassen des Hafens nach.

Wie kommt es, dass man knapp ein Viertel des Erdumfangs zurücklegt, um eine Ausbildung zu machen?

„Ich war schon immer reiselustig“, berichtet Anett. Da lag es nach der Schule nahe, eine Ausbildung im Bereich Tourismus zu machen. Er machte seinen Bachelor, stellte jedoch fest, dass alle Theorie grau ist. Da Europa ohnehin auf seiner Bucket-List stand, suchte er nach Möglichkeiten, mehr praktische Fähigkeiten zu lernen und gleichzeitig zu reisen. Auch der weltweit gute Ruf des deutschen dualen Ausbildungssystems beeindruckte ihn. „Wenn du in Indien das College verlässt, hast du zwar einen Bachelor, aber eben vor allem theoretisches Wissen. Um ein wirklicher Tourismusprofi zu sein, brauchst du praktische Erfahrung.“

Auch für Mohammed ist die Lehre zum Kaufmann für Tourismus und Freizeit bereits die zweite Ausbildung. Er hat eine Ausbildung im Bereich Flugreisen abgeschlossen. Schon für diese Ausbildung hatte er sich entschlossen, weil sie große Chancen versprach, ins Ausland zu gehen. So drückten die beiden jungen Inder noch einmal die Schulbank, um Deutsch zu lernen. Außerdem absolvierten sie einen Lehrgang in Indien, der sie auf die hiesige Kultur, Sitten und Gebräuche vorbereitet hat.

„Wenn jemand langsam spricht, oder wir Schriftsprache verstehen müssen, geht es eigentlich. Aber die meisten Menschen hier sprechen ja sehr schnell, da ist es noch schwer mitzukommen“, gibt Mohammed zu.

Trotzdem sind Anett Adams und Mohammed Safwan guter Dinge, dass sie zügig Fortschritte machen. Dabei ist Deutsch bei weitem nicht das einzige, was sie hier lernen müssen. Die beiden teilen sich eine Wohnung in Rechlin und müssen sich selbst versorgen. An den bislang noch arbeitsfreien Wochenenden kochen die jungen Männer gemeinsam. Auch das ist eine Premiere, denn beide wohnten bis auf ihre Studentenzeit bei ihren Familien inklusive Hotel-Mama-Service. Sie können es kaum erwarten, das W-LAN in ihrer Wohnung ans Laufen zu bringen, damit sie sich von Zuhause aus von ihren Müttern per Videocall im Kochen coachen lassen können. Wenn es also im Rechliner Mehrfamilienhaus demnächst nach Curry duftet: Nicht wundern! Aber vielleicht auf eine Einladung zum Essen hoffen.

Deutsch lernen, Kochen lernen, Bootfahren lernen: Anett Adams (rechts) und Mohammed Safwan aus Kerala in Südwestindien lernen an der Müritz Kaufmann für Tourismus und Freizeit.

Wein in Blasen

Wein in Blasen

Man kann Wein auch anders zu sich nehmen als ihn zu trinken. Ein Selbstversuch.

Versuchsanordnung nach Feierabend im Captains Inn: Weinperlen, analoge Merkhilfswerkzeuge (Zettel und Stift), Bergungshelfer um die Weinperlen aus der Dose zu bekommen (Teelöffel und Kuchengabeln)

„Der Wein ist unter den Getränken das Nützlichste, unter den Arzeneien die Schmackhafteste, und unter den Nahrungsmitteln das Angenehmste.“ (Pluarch)

In fast jedem Karton Wein, der uns vom Weingut Kuhnle aus Strümpfelbach im Remstal erreicht hat, war auch eine kleine, flache Dose. Mit Weinperlen. Weinperlen? Hää? „Probieret des halt amal, des hat der Daniel austüftelt.“

Daniel Kuhnle, das wissen alle, die sich im Captains Inn schon mal die Wartezeit aufs Essen mit dem eingehenden Studium der Weinkarte vertrieben haben, betreibt mit seinen Eltern zusammen das Familienweingut Kuhnle. (Und nein, wir sind nicht verwandt. Kuhnle heißen im Remstal eine Menge Leute.) Mit einem Kumpel, der Bubble Tea herstellte, machte er sich vor ein paar Jahren einen Spaß daraus, statt Tee Wein in die Bubbles (=Blasen) zu füllen. So entstand ein neues Produkt – die Weinperlen.

Weinperlen? Hää? Unsere Testkandidaten auf dem Schiffsbugtresen des Captains Inn.

Auch uns erzählte der Jungwinzer von seiner Erfindung (für die er 2019 den Innovations-Preis des Landes Baden-Württemberg bekommen hat) und legte auch gleich Muster bei. Da die Begeisterung bei uns ausblieb, legte er dem nächsten Karton noch ein Dösle bei. Und dem nächsten. Wir legten die kleinen Döschen mangels Anlass erst mal in die Speisekammer und beschränkten uns darauf, den Wein aus den Flaschen aus Strümpfelbach zu genießen. In Wahrheit konnten wir mit der Bezeichnung Weinperlen nicht so recht was anfangen. Wozu sollte es die geben? Wann öffnen?

Durch einen Bericht in der überwiegend (aber eben nicht nur) französischsprachigen Zeitung Derniere Nouvelles d’Alsace (DNA) haben wir uns wieder an die Perlendosen in der Speisekammer erinnert. DNA hatten nämlich freundlicherweise recht ausführlich beschrieben, wozu man die Weinperlen genießen soll. Also schritt die Führungspitze unseres firmeneigenen Restaurants gleich, nachdem am Montagabend die Küche für den kommenden Ruhetag geputzt war, zu einer aufwändigen Verprobung.

Die Testcrew:

Bozidar Nahtman (Küchenchef des Captains Inn)

Doreen Grabowski (Restaurantleiterin Captains Inn)

Dagmar Rockel-Kuhnle (Dokumentation, hat keine Ahnung von Gastronomie)

Zum testen hatten wir:

  1. Weinperlen weiß (10,5 % Alkohol)
  2. Weinperlen rot (14 %)
  3. Weinperlen Muskattrollinger rosé (12,5 %)
  4. Likörperlen Bitterorange (18 %)
  5. Schnapsperlen Williams (40 %)

Außerdem liefen außerhalb der Konkurrenz zwei Döschen Werbeobst aus dem Spreewald mit:

Außer Konkurrenz: Werbe-Schnapdosis aus dem Spreewald.
  1. Pflaumen-Aufreißer (40 %)
    • Kirsch-Aufreißer (40 %)

    Als erstes knackten wir die Dose mit den Weißweinperlen. Schon mal erfreulich: Man braucht keinen Öffner, das geht mit dem eingelassenen Ring gut. Zum Wiederverschließen ist ein Plastikdeckel dabei. Trotzdem stellten wir das Dösle vorsichtshalber auf einen Teller, wer weiß, was der Abend noch bringt?

    Die Perlen selbst schwammen in reichlich Flüssigkeit und waren kleiner als erwartet. Im Durchmesser etwa so, wie eine Perlenkette, die man zur Hochzeit kriegt, also etwa fünf bis sieben Millimeter. Vom Foto auf der Dose hatten wir eher auf Perlen in Modeschmuckgröße getippt, aber nach den ersten drei probierten Perlen war uns das wurst.

    Also Löffel rein und erst mal ein Perlchen geangelt. Die zarte Hülle der Perle aus Algenextrakt zerplatzt durch leichten Druck mit der Zunge und so dann breitet sich ein leichter, fröhlicher Weißweingeschmack im Gaumen aus. War da was? Gleich noch mal! Ja, drei Perlen gleichzeitig passen auch auf den Teelöffel. Sachte ploppt es drei Mal im Gaumen, jetzt schmeckt man den Weißwein schon deutlicher. Die Hüllen zergehen sehr schnell, nur wer den Mund zu voll nimmt, muss noch einen Moment zerplatzte Algenkapseln im Mund herumschieben, bis sich alles aufgelöst hat. Bei sachgemäßer Verwendung, also zum Beispiel zwei, drei, vier Kugeln als kleine kulinarische Überraschung neben einer Zitronencreme, merkt man die Hülle nur kurz. Wer die Perlen als Eintopf löffeln will, muss kauen.

    Is det was? Restaurantleiterin Doreen Grabowski schmeckt der Perle nach.

    Bozidar Nahtmann (Spitzname Bozo) hatte schon so lange, laut und interessiert auf die „Schnapsperlen Williams“ gestarrt, dass diese Dose als nächstes den Deckel verlor. Nicht lang schnacken, gleich probieren. „Oh, das mag ich.“ statuierte Bozo kurz. Auch Doreen schmeckte die Zusatzumdrehungen des gebrannten Williams Birne gleich raus: „Boah, ditte ist richtig purer Alkohol!“

    Bozo: „Ich hoffe doch sehr!“

    „Oh, die mag ich!“ – Schnapsperlen Williams.

    Zwischendurch wird der Kirsch-Aufreißer aufgerissen – eine der außer Konkurrenz laufenden Dosen. Traurig gucken uns zwei anitfoulingfarbene Kirschen am Spießchen aus einer klaren Flüssigkeit an. Doreen nascht die erste Kirsche weg: „Naja.“ Dann taucht sie den Teelöffel in die klare Flüssigkeit der Dose (angeblich Kirschwasser). „Brrr, das kannste zum Putzen nehmen.“ Auf die Öffnung des Pflaumen-Aufreißer verzichten wir weise.

    Außer Konkurrenz: Kirschen auf Spießchen in angeblichem Kirschwasser.

    Nun stand in dem DNA-Artikel nicht noch was von „passt gut zu Käse“? „Ich hab Käse da!“ sagt Bozo und steht auf nachdem er noch ein Williams-Perlchen für den Weg genascht hat. Schneller als befürchtet kommt er mit einem Teller Brot und Käse wieder. Doreen hat derweil die Rotweinperlen schon mal atmen lassen.

    Bozo schnappt sich ein Stück Brot, drapiert ein Scheibchen Käse drauf und platziert liebevoll fünf Rotweinperlen in der Optik eines Johannisbeerzweigleins auf dem Käse und lässt die Kreation mit einem Haps verschwinden. Fazit: „Ja, das geht zusammen!“ Doreen: „Und sieht auch ordentlich aus!“ Haps. „Mit Weißweinperlen geht der Käse ooch“, stellt Doreen fest. „Und erst mit Williams“, grinst Bozo.

    Traum-Kombi: Rotweinperken auf Käsestüllchen.

    Während munter weiter verkostet wird (aus Gründen der Fahrtüchtigkeit bleiben die Likörperlen und die Roséperlen mit Muskattrollinger noch zu, außerdem sind wir eine schwäbische Firma, da wird nichts verschwendet), beginnen schon die ersten Ideen und Spinnereien, die Mousse-au-Chocolat doch künftig als Überrschungseffekt mit ein paar Rotweinperlchen zu versehen. Oder den Ziegenkäse. Oder zum Fisch?

    Auf jeden Fall darf man gespannt sein, was sich das Team vom Captains Inn weiter noch so ausdenkt. Kommen Sie einfach mal wieder vorbei!

    PS Die Weinperlen gibt es unter der Weinguteigenen Marke Gandelhof direkt beim Weingut Kuhnle zu kaufen (da sind sie übrigens auch billiger als beim Internetladen mit dem großen A.

    Auf und ab in Niederfinow

    Auf und ab in Niederfinow

    Das neue Schiffshebewerk in Niederfinow ist eröffnet. Wir waren mit dem Hausboot dabei.

    Es passiert nicht allzu oft, dass auf der Welt ein Schiffshebewerk eröffnet wird. Klare Sache also, dass wir dabei sein wollten. Zumal dieses Jahrhundertereignis in unserem Revier, zwischen Elbe und Oder stattfinden sollte.

    Nun haben die meisten Schiffshebewerke die Eigenschaft, für die Berufsschifffahrt gebaut zu werden. Für uns als Sportbootkapitäne heißt das: Hinten anstellen, nett fragen und artig warten, bis man dran kommt. Aber sollten wir die Eröffnung des neuen Schiffshebewerks Niederfinow nach um lediglich acht Jahre überschrittener Bauzeit wirklich den Politikern, Beamten und den Berufsschiffern überlassen? Glücklicherweise hat die Wassertourismusinitiative Nordbrandenburg (WIN) den Bau ebenso aufgeregt verfolgt wie wir und an den richtigen Stellen angeregt, dass es doch am Tag der Indienststellung einen Bootskonvoi zum und durch das Hebewerk geben sollte. Und rechtzeitig in der Bootswelt Bescheid gesagt, dass man sich gerne zügig anmelden könne … Na, das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen.

    War da noch was? Achja! Ein Boot müsste dann auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort – der Marina Oderberg – sein. Von der Müritz bis nach Oderberg sind es 164 Kilometer, 23 Schleusen und ein Schiffshebewerk. Nicht gerade vor der Tür, aber machbar.

    Die Erstheber-Crew

    Norbert Zimmermann, ein rüstiger Ex-IT-Mann, der im Sommer an der Müritz ein paar Wochen als Einweiser gejobbt hatte, ließ sich nicht lange bitten. Da man ja nie so genau weiß, was passiert, fuhr er vorsichtshalber am Freitagabend los, nahm Samstagfrüh die erste Schleuse in Mirow und dampfte drauflos. An Bord hatte er seinen Segelkumpel Heinz Triebe, ebenfalls ein süßwassererfahrener Salzbuckel. Schon Montagvormittag simst er, dass er soeben das alte Hebewerk passiert habe, er also locker 24 Stunden vor Konvoibeginn in Oderberg sei.

    Überführungs- und Hebewerksskipper Norbert Zimmermann

    Der nächste Teil der Hebewerk-Feier-Crew waren Ernst und Annemarie Sagaster. Sie waren 25 Jahre Liegeplatzkunden bei uns in der Marina Müritz. In diesem Herbst haben sie, beide über 80 Jahre alt, schweren Herzens ihr Boot verkauft, was sie beim Auf-Wiedersehen-sagen im Hafen traurig erzählten. Da die beiden das Reisen jedoch nicht lassen können, haben sie sich ein Wohnmobil zugelegt, mit dem sie schon am Sonntag in der Marina Oderberg vorgefahren waren.

    Der erste Törn nach dem Verkauf des eigenen Boots: Annemarie und Ernst Sagaster

    Die letzten beiden Crewmitglieder, Firmenchef Harald Kuhnle nebst schreibender Ehefrau, kamen eine halbe Stunde vor Konvoistart an Bord. Sie waren am Tag zuvor noch in Frankreich zur Bootsmesse in Saverne gewesen. Immerhin hatten sie einen Kuchen und eine Flasche leckeren Elsässer Crémant dabei. (Werbeblock: Den von Madame Lang, gibt es auch im Captains Inn und zum Mitnehmen für an Bord).

    Tetris mit Booten

    Julia Pollok und ihre Kollegin von der WIN hatten sich ernsthaft Gedanken gemacht, wie viele Boote man idealerweise in dem 115 mal 12,50 Meter großen Trog verstauen könnte und einen exakten Plan gemacht, wer, an welcher Stelle im Konvoi zu fahren und wo im Trog zu liegen hätte.

    Sportbootkonvoi zur Ersthebung

    Wir, mit der Kormoran 1150 „Rostock“ waren nach einem großen und einem kleinen Fahrgastschiff die Nummer drei, reihten uns planmäßig in den Konvoi ein und fuhren gen Westen. Im Kormoran-Tempo ist das eine gute Stunde Fahrt durch schönste Natur. Sobald Kaffee und Kuchen auf dem Tisch des Achterdecks standen, kam auch die Sonne raus und der Fahrgastschiffer vor uns versuchte uns schreiend zu erklären, wie er den Konvoi umzustellen gedenke … Leider war er so schlecht zu verstehen, dass wir seine Ideen nicht berücksichtigen konnten. Am Hebewerk angekommen hieß es erst mal festmachen und auf Entdeckungsreise gehen.

    Charterchef Harald Kuhnle und das Schiffshebewerk Niederfinow-Nord vom unteren Vorhafen aus gesehen.

    Was für ein Bauwerk! Dass es möglich ist, eine 9200 Tonnen schwere Badewanne mit ein 224 Stahlseilen und vier Zahnstangen so exakt gerade zu bewegen, dass sie sich nicht verkantet, ist schon phänomenal. Wenn juckt es da schon, dass der Spaß 520 Millionen Euro an Steuergeld gekostet hat. (Im Preis eingerechnet sind neben dem eigentlichen Hebewerk auch die Kanalbrücke, sowie der untere und der obere Vorhafen.)

    Gegengewichte

    Der Trog ist gerade oben, als wir am Hebewerk ankommen, also ist das erste, was wir sehen, eine Reihe Gegengewichte. Ziemlich groß und ziemlich viele. Von dieser Sorte hat das Hebewerk noch weitere drei und dann noch mal zehn Gegengewichtsgruppen, die doppelt so groß sind.

    220 Gegengewichte an 224 Stahlseilen mit 60 Millimetern Durchmesser gleichen das Gewicht der Troges aus.

    Hauptschalter auf “aus“ drehen?

    Wir schlendern hierhin und dorthin. Bewundern die pieksaubere untere Betonwanne, begeistern uns für eine pfiffige Stiefel-Waschanlage und entdecken eine versteckte Treppe. Wo die wohl hin führt? Mal umgucken. Nirgendwo Aufpasser oder ein Betreten-Verboten–Schild. Also los. Boahvon hier hat man einen dollen Blick auf den Boden und auf die Unterseite des Trogs. Doch was ist das? Ein Schaltschrank? Fein säuberlich abgeschlossen, doch darunter offen liegend ein deutlich markierter Schalter, er ist wie es sich gehört ordentlich beschriftet: „Not-Aus“. Hmmm … Mal ausprobieren? Und dann schnell weglaufen und vom Achterdeck aus beobachten, wie die Fehlersuchtrupps ausschwärmen? Allen den Spaß verderben? Äh, nein, wir drücken nur auf den Auslöser der Handy-Kamera und entdecken im Laufe des Nachmittags noch einige weitere Not-Ausschalter.

    Stiefelputzanlage
    Soll ich?
    Blick von unten gegen den Trogboden und auf den Boden des neuen Hebewerks.

    Alle sind rechtzeitig zurück an Bord, um die Abfahrt nicht zu verzögern, Skipper Norbert hat vorsichtshalber auf den Landgang verzichtet. Da schaltet auch schon das Signal auf Doppelgrün, wir reihen uns wie geplant hinter den beiden Musikdampfern ein.

    Doppelgrün! Auf geht es in den Trog!

    Unter dem ersten Tor werfen wir gewohnheitsmäßig einen Blick nach oben: Aber kein Tropfen dringt aus dem Tor, kein Wunder, die Tore verschwinden unter Wasser in einer Bodennische. Von unserem Liegeplatz im Trog betrachten wir die Stelle, wo nachher der Kanal weitergeht. Kein Tropfen dringt aus der Dichtung des Verschlusses zur Kanalbrücke. Boah! Apropos Kanalbrücke: Damit das Hebewerk sicher steht, musste tiefer in den Oderbruch reingebaut werden als geplant. Das Hebewerk steht sozusagen frei im Tal. Um die Verbindung zum Oder-Havel-Kanal herzustellen, musste also eine Trogbrücke gebaut werden, die das hohe Ufer mit dem Hebewerk verbindet.

    Perfekte Dichtung: Das Schwenktor der Kanalbrücke im Oberwasser des Hebewerks lässt keinen Tropfen Wasser durch.

    Der Trog hat zwei komfortable Seitenstege mit rutschfesten Belag auf denen sich das Bötchenvolk tummelt, während die letzten Nachzügler teilweise zu dritt nebeneinander festmachen. Im alten Hebewerk hatten wir vor Ewigkeiten mal einen fetten Anranzer über die Sprechanlage kassiert, weil wir um Fotografieren das Boot verlassen haben. Heute sind alle entspannt. Aber im Sinne eines zügigen Ablaufs wird man künftig wohl auch hier besser an Bord bleiben.

    Skipper-Treffpunkt Seitenstege.
    Allzeit ausbalncierten Trog!

    Dann sind alle fest und es geht los. Nichts ruckelt, quietscht oder klappert, den einzigen Lärm machen die feierlich gedrückten Typhone und unser Crémant-Korken. Einen Schluck opfern wir dem neuen Hebewerk, auf das es künftig viele Hausboote sicher heben und senken wird. Zumindest – wenn das alte Hebewerk gewartet wird. Denn aktuell ist die Planung, dass Sportboote das alte Hebenwerk benutzen. Niederfinow-Süd (so der neue Name) wird noch so lange in Betrieb gehalten, bis die Gewährleistung für Niederfinow-Nord abgelaufen ist. Wenn alles klappt wie geplant, bleibt auch nach den fünf Jahren das schöne alte Hebewerk mit seiner filigranen eiffelturmähnlichen Stahlkonstruktion als Tourismus-Attraktion in Betrieb. 

    Julia Pollok von der Wassertourismusinitiative Nordbrandenburg fotografierte uns beim Auslaufen aus dem Trog.

    Noch bevor wir unsere Gläser leer haben (Skipper Norbert hatte sein Glas umgestoßen, nur falls jemand denkt, wir wären mit Schwips unterwegs gewesen), sind wir oben. Trogtor und Kanalverschluss verschwinden unter Wasser und wir fahren die 65,50 Meter lange Kanalbrücke unter dem Sicherheitstor hindurch zum Vorhafen. Wir runden die kleine Landspitze und machen vor dem Doppelrot des alten Hebewerks fest.

    Ein Hoch auf den Bierspender!

    Und warten. Und warten. Auf der anderen Seite des Vorhafens hat die DLRG festgemacht. An Bord auch zwei  PolizistInnen. Wir rufen rüber, ob man dort Infos in Sachen Fahrstuhl abwärts habe. Die Info kommt schnell, eine gute halbe Stunde sollen wir warten. Hmm. Wir hocken auf dem Achterdeck und schieben Langeweile. Wenn man wenigstens ein Bier hätte!  Offensichtlich geht es den anderen Bootscrews, die mit uns auf die Abwärtsschleusung warten, ähnlich. Nach und nach steuert der eine oder andere auf das kleine Zeit auf der Insel zwischen den Hebewerken zu. Und dann – oh Wunder – nähert sich einer vom Nachbarboot mit einer ganzen Kiste! Er zählt kurz die durstigen Seelen an Bord, packt noch eine Extraflasche dazu und überreicht uns den ersehnten Durstlöscher! Wir schließen ihn und den freundlichen Spender Jan Mönikes von der Tourismus- und Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Niederfinow mbH in unser Abendgebet ein.

    Blick vom alten aufs neue Hebewerk.
    Blick zurück: Altes und neues Hebewerk vom Unterwasser aus von Jürgen Gräfe (Crew des Eisbrechers) fotografiert.

    Mit der Abenddämmerung laufen wir schließlich ins alte Hebewerk ein und machen uns im schwindenden Licht auf den Weg zurück nach Oderberg. Vor uns in der zunehmenden Dunkelheit fährt sozusagen als Lotse der Oderberger Hafenmeister Hannes Kelle mit seinem Eisbrecher. Auf unserem Bug sitzt warm eingepackt Heinz Triebe und sucht mit der Taschenlampe die Tonnen, gerade als sein Akku sich dem Ende nähert, stoppt Kelle mit dem Eisbrecher auf, Leuchtet mit seinen Nav-Lichtern kurz in die Hafeneinfahrt, gerade richtig, dass wir uns orientieren können. Skipper Norbert Zimmermann legt an, wir gehen an Land und lächeln Hannes Kelle besonders nett an, weil er uns am Mittag versprochen hatte, uns abends noch zu bekochen. Wir machen es uns unter seinem großen Vordach gemütlich, in Lichtgeschwindigkeit steht jeweils ein Getränk vor uns, kurz darauf dampfen Pommes, Buletten und Steaks auf unseren Tellern. Alle zusammen heben wir unsere Gläser: „Auf das neue Hebewerk!“

    Rückweg nach Oderberg.

    Noch nicht genug vom Hebewerk? 

    Hier sind weiterführende Links:

    Ein gut verständliche Broschüre mit allen technischen Daten, Historie, Architektur:

    https://www.wna-berlin.wsv.de/Webs/WNA/WNA-Berlin/DE/SharedDocs/Downloads/SHWNiederfinow/nifi_broschuere_de.pdf?__blob=publicationFile&v=2

    Webseite des neuen Hebewerks vom Wasserstraße Neubauamt Berlin:

    https://www.wna-berlin.wsv.de/Webs/WNA/WNA-Berlin/DE/Projekte/01_Bauwerke-Anlagen/01_SchleusenHebewerke/SHWNiederfinow/shw_nifi_text.html?nn=1732172

    Ganz besonders zu empfehlen, die Doku „Zwei Fahrstühle für einen Kanal“ des RBB. Ein Filmteam hat den Bau von Anfang bis Ende begleitet und viele Infos zur Geschichte der Hebewerke, zur Kanalverbindung von Have- und Oder zusammengetragen und erzählt jede Mengen Geschichten von Menschen am Hebewerk.

    https://www.ardmediathek.de/video/dokumentation-und-reportage/zwei-fahrstuehle-fuer-einen-kanal/rbb-fernsehen/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvZG9rdS8yMDIyLTEwLTA0VDIwOjE1OjAwXzc4ZWI3NGJlLTM1NmYtNDA2NC1hZjRiLTdjZDI4YjExNDIyMi9kYXMtbmV1ZS1zY2hpZmZzaGViZXdlcmstbmllZGVyZmlub3c