Einfachfahrt in die Einsamkeit

Einfachfahrt in die Einsamkeit

Eine Überführungsfahrt mit Abstecher in die Templiner Gewässser und dem idealen Boot für zwei

„Also lautet ein Beschluss, dass man Zeit zu zweit verbringen muss!“ – Notfalls an der Schleusenwartestelle der neuen Schleuse Kannenburg

Rendezvouspläne am Küchentisch

Die Situation am winterlichen Küchentisch kennen viele berufstätige Paare: Jeder sitzt vor seinem Kalender und man bespricht die nächste Zukunft. Hier hab ich eine Fortbildung, da gehst du noch mal Ski fahren, da ist Filmkunstfest, hier Weltkanalkonferenz, da die Familienfeier, hier noch eine Messe. „Haben wir eigentlich irgendwann noch mal ein langes Wochenende zusammen zum Bootfahren?“
„Ähem. Also Ostern und das 1.-Mai-Wochenende schon mal nicht.“
„Was ist mit dem Himmelfahrtswochenende?“
„Passt!“
„Okay, dann lass uns wenigstens das blocken!“


Ich habe ein Rendezvous! Okay, nach 24,5 Ehejahren und mit dem eigenen Mann und vier Monate im Voraus geplant, aber deswegen muss es ja nicht weniger romantisch sein. Wo wir hinfahren? Das machen wir so wie immer: Mal gucken.
Mittwochnachmittag vor dem Vatertag soll es losgehen. Sonntag vorher komme ich von einer Geschäftsreise wieder, hupe einmal vor dem Büro um den bei offenem Fenster arbeitenden Gatten vom Schreibtisch nach Hause zu locken. Anderthalb Stunden später kommt er zu Hause an.
„Wir gehen ja am Mittwoch aufs Boot.“
„Öh, ja.“
„Haben wir schon ein Boot? Wo wollen wir den hin?“
„Öh, ja, mal sehen.“
Am Montagmittag erscheint der Gatte in meinem Büro und erkundigt sich, was ich davon hielte, einen Oneway nach Mildenberg zu machen. Es gebe allerdings keine schicke Kormoran, sondern eine kleine vetus 900. An der Müritz lägen sieben Stück davon, deswegen solle eine ab der neuen Basis Mildenberg zu chartern sein

Schnuckelige vetus 900

Die vetus 900 ist ein schnuckeliges Plastikboot mit einer Schlafkabine achtern. Das Doppelbett an der Backbordseite hat für Bootsverhältnisse fürstliche Ausmaße und außerdem gibt es eine Einzelkoje an Steuerbord. Im Salon steht zwischen anderthalb Sitzbänken ein großer Esstisch, es gibt Kühlschrank, eine etwas kurz geratene Küchenzeile und reichlich Stauraum für Boots- und Gemüsekiste im Regal. Das ideale Boot für zwei. Die „Picasso“ ist eine von den zwei Jüngsten vetus der Flotte. Anfang der 2000er waren uns zwei leere vetus-Rümpfe von irgendwoher zugelaufen, die auf der Kuhnle-Werft ausgebaut wurden. So sieht die „Picasso“ von innen mit weißen Flächen und dunklen Holzleisten, den blauen Polstern, den gewürfelten Gardinen und hölzernen Innentüren sehr nach Kormoran aus.
Ich schwelge in Erinnerungen an eine Überführung von der Müritz nach Zeuthen vor 25 Jahren. Damals waren wir – noch unverheiratet – mit nur einem Kleinkind (aber einem weiteren für die kommenden sechs Wochen terminiert) mit einer vetus 900 unterwegs gewesen.
„Na, klar, das wird schön!“ Optimismus war schon immer meine Stärke.

Hektik ohne Bier und Kaffee

Mittwochnachmittag: Nunja, die Schleuse Mirow schließt um 18 Uhr, das schaffen wir ohnehin nicht. So gegen halb sechs brechen wir im Büro auf, erst mal nach Hause Sachen packen, Bootskiste checken und so langsam mal auf der vetus ankommen.
Ich schnappe mir aus dem Hafenbüro schnell eine Runde Bettwäsche und Handtücher, werfe sie an Bord und flitze nach Hause. Im Gegensatz zu meinem früh aufstehenden Ehemann, habe ich noch nicht mal Klamotten zusammengepackt.
Die Bootskiste steht auf der Anrichte in der Küche. In diesem Jahr war sie bereits zwei Mal von den Kindern für Törns mitgenommen worden. Ich entferne zwei Flaschen Handseife (eine reicht) und vier Rollen Klopapier (hatte ich an Bord gesehen) und lege das gute Steiner-Fernglas dazu.
„Wo ist unser Reservekaffee?“ fragt der Gatte.
„Ähm, den hatte ich auf Geschäftsreise mit, den hole ich im Büro aus dem Auto.“
„Wo sind denn die ganzen Bierdosen aus dem Keller?“
„Ähm, die hatte ich auch auf Geschäftsreise mit.“ Ich lächele lieb, um zu vertuschen, dass ich die Dosenvorräte nicht wieder aufgefüllt habe.
Sein Blick ist eine Mischung aus Missbilligung wegen illegalem Angriff auf die Bierreserven und Freude über die sparsame Ehefrau, die lieber Getränke von Zuhause mitnimmt, als unterwegs teuer einzukehren.


Also los!
Zwei Reisetaschen, eine Kühltasche, ein Karton mit Wein, Sekt, die Bootskiste, eine weitere Kiste mit Bier, Wasser, Gemüse und Aufbackbrötchen (sind nur vier Stück deshalb greife ich in letzter Minute noch eine Brötchen-Backmischung aus der Speisekammer), sowie zwei Rucksäcke mit Laptops, Ladekabeln und mein großer Ordner für Kartenkorrekturen füllen den Kofferraum einigermaßen. Die Fahrräder sind schon im Hafen, müssen nur noch an Bord.

Wir werfen das ganze Zeug an Bord, ich fahre den Kombi weg. Während mein Mann unter Deck den Kühlschrank einräumt, stecke ich das Stromkabel aus und mache die Leinen los. Ich checke, ob die vetus vorne noch am Nachbarboot fest ist (ist sie nicht), dann schiebe ich den Gashebel nach vorne. Das Bugstrahlruder verweigert den Dienst. „Hmm, wohl nicht aktiviert“, denke ich, drücke ein bisschen am Fahrstand herum, nichts passiert. „Wir müssen nachher mal nach den Bugstrahler gucken“ rufe ich nach unten und fahre erst mal ohne aus dem Hafen.

Endlich unterwegs!

Später übergebe ich das Steuer zum Bettenbeziehen an den Gemahl. So machen wir es immer, einer räumt, der andere fährt und umgekehrt. Als soweit alles verstaut ist, genießen wir zusammen mit einem alkoholfreiem Bier die Fahrt in den sonnigen Abend. Endlich wieder unterwegs! Herrlich! Mein Mann ist in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Wasser, ich durfte an einem windigen März-Tag bereits einmal eine Gruppe Berichterstatter zur Bergung eines Flugzeugmotors chauffieren.

Endlich unterwegs! Auf der Kleinen Müritz verwöhnt uns die Abendsonne.

Tiefenentspannt kommen wir an der Sportbootwartestelle der Schleuse Mirow an. Mangels Bugstrahler legen wir eher unelegant an – egal, wir haben Hunger und das Essen ist fast zeitgleich fertig.
Bei der Fehlersuche nach dem Essen stellen wir fest, dass auch das Radio nicht geht. Da ich morgens keinerlei Geräusche vertrage, finde ich das lässlich, schade ist aber, dass ich nichts zum Laden an die USB-Steckdose anschließen kann.

Vor uns liegen die vier meist befahrenen Schleusen zwischen der Müritz und Berlin und wir haben gute Chancen, morgen früh schnell durchzurutschen und mit etwas Glück ohne Wartezeit auch die nächste Schleuse zu schaffen. Deswegen verzichten wir darauf, den Kuhnle-Tours-Notdienst anzurufen, wir wollen erst mal Strecke machen, damit wir Donnerstagabend in Fürstenberg sind, denn da können wir am Freitag noch einmal einkaufen gehen. Müssen wir auch, denn neben Brötchen und den scharfen Messern fehlt auch das Spüli aus der Bootskiste. Kann man auch mit Handseife abwaschen?

Brötchenduft in der Schleusenkammer

Ich wache am Himmelfahrtstag um acht auf und schleiche mich in den Salon, heize den Backofen vor und rühre die Brötchen-Backmischung an. Große Vatertagsaktion gibt es bei uns traditionell nicht, aber ein ordentliches Frühstück möcht schon sein. Im Bordbackofen dauern die Brötchen länger als auf der Packung angegeben, so dass wir, als die Schleuse pünktlich um neun Doppelgrün zeigt, ungefrühstückt in die Kammer fahren. Je tiefer wir mit der Müritz-Havel-Wasserstraße sinken, um so mehr steigt mir der Brötchenduft aus dem Backofen in die Nase. Hmjam.

Vatertag mit frisch gebackenen Brötchen aus dem Bordofen.

In der Schleuse stellen wir fest, dass wir unsere bewährte Schleusentechnik ändern müssen. Eigentlich stehe ich meist achtern mit der Leine in der Hand, um das Boot hinten zu sichern. Das hat den Grund, dass mein Mann ja den Bug, sollte ein Windstoß ihn zur Seite pusten, immer mit dem Bugstrahlruder zurück auf Linie bringen kann. „Es ist besser, wenn du vorne stehst“, weist der Gatte mich jedoch heute an, dann könne er das Heck mit eingeschlagenem Ruder und einen kurzen Stoß voraus an die Kaimauer ziehen.
Schon in der nächsten Schleuse bringt uns diese Veränderung nach 26 gemeinsamen Jahren auf dem Wasser einen ebenso giftigen wie kräftigen Anranzer eines vor uns fahrenden jungen Sachsen ein. Wir sollten doch bitte unseren „Scheiß-Kahn“ (seine Worte, dabei ist unsere vetus ein feines Bötchen) auf Abstand halten, werde ich unvermittelt angebrüllt. Wir waren tatsächlich ein bisschen dicht an dem schicken Gleitboot amerikanischer Herkunft dran – jedoch weit von einer Berührung entfernt – und ich hatte bereits leise nach achtern meinen Mann gebeten, einen Poller weiter hinten zu nehmen. Naja, wir wollen nicht nachtragend sein, die Sonne schien bereits warm vom Himmel und in dem pechschwarzen Jogginganzug im Partnerlook hätten wir uns auch unwohl gefühlt.

In einem Rutsch nach Fürstenberg

Wir können unser Glück nicht fassen, so schnell kommen wir durch die Schleusen Diemitz, Canow und Strasen durch. Für Himmelfahrt ist wirklich erstaunlich wenig los. Deshalb beschließen wir, bis Fürstenberg durchzufahren, bevor wir irgendwo auf den Notdienst warten und dann nachher doch beim Schleusen Schlange stehen müssen.
Es ist nicht mal 16 Uhr, da legen wir am Fürstenberger Yachtclub an, melden uns beim Hafenmeister und klauben Ein-Euro-Stücke zusammen, die wir für die Stromversorgung und am nächsten Morgen für die Dusche an Land benötigen. Das Duschen ist hier übrigens echt fair geregelt: Man zahlt einen Euro für ein paar Minuten Warmwasser. Unterbricht man den Wasserstrahl aus der Dusche, stoppt auch der Zähler, so dass man nach einem Euro auch sauber und ohne Schaumreste fertig ist.

1-Euro-Münzen für Strom und faire Duschen: Unsere vetus 900 „Picasso“ am Steg des Fürstenberger Yachtclubs.

Mit Buch und einem Glas Sekt mache ich es mir auf dem Achterdeck gemütlich. Silvio Kraballe ist wahrscheinlich der meistgelobteste Kuhnle-Tours-Mitarbeiter. In der Saison ist er der Gelbe Engel von Kuhnle-Tours. Wo auch immer ein Boot ein Problem hat, versucht er zunächst am Telefon zu helfen – oft sind es nur Kleinigkeiten oder Bedienungsfehler. Er hat die Gabe, sich ebenso ruhig wie präzise ausdrücken zu können, so dass viele Chartercrews nach seiner Anweisung von selbst wieder flott werden. Und wenn nicht, kommt er mit seiner fahrenden Werkstatt dahin, wo das Boot ist. Notfalls pumpt er ein kleines Schlauchboot auf und paddelt zum Boot.
Gegen 17 Uhr taucht er mit seinem Werkzeug in einem kleinen Wägelchen am Steg auf, schwingt sich an Bord und steigt in die Tiefen des Motorraums herab. Die Kontakte der Elektrik zum Motor, so erklärt er uns später, korrodieren mit der Zeit. Zuerst gibt es Wackelkontakte, dann geht irgendwann nichts mehr. Nach einer halben Stunde sind die Kontakte wieder blank und reden miteinander, das Bugstrahlruder geht wieder, leider auch das Radio.
Zum Abendessen spazieren wir 500 Meter in den Templiner Hof. Ein Gasthaus, dass direkt an der B 96 liegt, aber einen schönen ruhigen Biergarten hat und einen Koch, der gerne frische Zutaten verarbeitet. Es ist Mai, also bestellen wir von der Spargelkarte und bereuen es nicht.

Genießen in Fürstenberg: Aperol Spritz und Hähnchencurry mit Spargel im Templiner Hof.

Einkaufstour mit Draht- und Packesel

Am Freitag beschießen wir, das der naheliegende Netto-Markt mit Bäcker und Fleischer so dicht ist, dass es sich nicht lohnt, beide Fahrräder an Land zu hieven. Wir könnten ja unsere Einkäufe in einer Tüte verstauen und an den Lenker des leichteren Fahrrads hängen. Nachdem mein Mann mir versichert, dass ich nicht neben ihm herjoggen müsste, verzichte ich auf mein Fahrrad, genauso wie auf den dort angebrachten Fahrradkorb und den Gepäckträger. Seufz.
Es kommt wie es kommen musste: Die prall gefüllte Einkaufstasche scheuert am Vorderrad, ich balanciere ein Sixpack Bier unter dem einen Arm und einen neuen Fahrradsattel (gabs gerade beim Discounter) unter dem anderen und wache dabei mit Argusaugen über ein Schälchen Erdbeeren für den Nachtisch, das ganz oben in der Einkaufstasche liegt.

Jetzt wird es enger: Obertor der Schleuse Bredereiche an der Oberen Havel-Wasserstraße

Bis zur nächsten Schleuse haben wir ein Stück Havel vor uns und den schönen Stolpsee zu überqueren. Dann wird es enger und in schneller Reihe passieren wir die Schleusen Bredereiche, Regow, Zaaren und Schorfheide. Wir folgen der Havel durch dichte Wälder, manchmal auch an weiten Feldern entlang. Der Fluss krümmt sich mal hierhin mal dahin, von Entgegenkommern sieht man erst nur das Verdeck über das Schilf herausragen. Den Autopilot einstellen und die Hände vom Steuer nehmen wie auf dem Mittellandkanal, das läuft hier nicht. Was für ein Gekurbel!

Was für ein Gekurbel! An der OHW ist Kurvenfahrt angesagt.

Kurbelfahrt ins neue Revier

Gleich unterhalb der Schleuse Schorfheide geht es links ab in die Templiner Gewässer. Sieben Jahre war nach einem kurzen Stück Kanal und dem Großen Kuhwallsee die Fahrt zu Ende, denn die Schleuse Kannenburg in der Verbindung zwischen Kuhwallsee und Lankensee war zuerst wegen Baufälligkeit gesperrt, dann wegen Bauarbeiten. Die gingen im Herbst 2023 zu Ende und die Schleuse ging für ein paar Wochen in Probebetrieb. Ende April 2024 erfolgte die offzielle Wiedereröffnung des schicken Neubaus mit Staatssekretärin und großem Bahnhof.

Die neue Schleuse Kannenburg empfängt uns mit grünen Lichtern …
… und einer eigenwilligen Interpretation des Baujahrs. Erste Inbetriebnahme der Schleuse war im Herbst 2023.


Als wir uns der Schleuse nähern, sehen wir gleich rechts am Untertor die in Beton gegossene Jahreszahl 2022. Tja. Mag sein, dass dieses Betonteil 2022 gegossen worden ist. Die Schleuse war definitiv später fertig. Still und umkompliziert lässt sich das gute Stück trotzdem bedienen. Ein großes Display informiert über den Fortgang der Schleusung.

Templin: Für Bootfahrer geschlossen?

Für heute ist der Stadthafen von Templin unser Ziel. Der hatte in der Sperrzeit einen Betreiberwechsel und wurde fast komplett erneuert. Wir freuen uns nach der schicken neuen Schleuse auf einen schicken neuen Hafen und einen abendlichen Bummel durch die schöne Altstadt von Templin. Doch als wir unter der überdachten Pionierbrücke (es ist keine Pionierbrücke, die heißt nur so) hervorkommen und den Bug nach Steuerbord richten, sehen unsere Augen eine schöne neue Steganlage – aber mit Flatterband abgesperrt. Ganz zum Land hin liegt ein Boot quer in der Box, dahinter sehen wir ein Grüppchen nett beisammen sitzen. Wir nähern uns langsam.
„Können wir hier anlegen?“
„Nee.“
„Wo können wir denn anlegen?“
„Gar nicht.“

Anlegen ist nicht. Stadthafen Templin.

Hmpf. „Hausbootferien abseits vom Trubel“ – unter diesem Motto haben wir auf der boot in Düsseldorf, im Katalog, in Pressemitteilungen, auf Facebook und Instagram für die Templiner Gewässer die Werbetrommel gerührt. Soo abseits sollte es denn auch wieder nicht sein.
Wir gehen an den Fahrgastanleger nebenan. Der hat zwar ein hohes Geländer und keinen Stromanschluss, aber irgendwie werden wir das Boot da schon festgebunden kriegen. An dem Geländer prangt ein Schild: „Anlegen nur nach Rücksprache mit dampfer-templin.de.“
Ein paar Meter weiter liegt ein zur Ferienwohnung umgebautes Fahrgastschiff mit Gästen vorne drauf.
„Können wir hier anlegen?“
Eine freundliche Gästin steht auf und nimmt unsere Festmacherleinen an.
„Joar, wer soll schon wat dagegen ham?“
„Ich hab die Handynummer auf der Webseite gefunden“, melde ich meinem Gatten. „Soll ich da anrufen und das klar machen?“
„Nee, lass mal lieber. Nachher schickt der uns weg.“
Wir machen uns landfein, klettern über das Geländer und schlendern an der Stadtmauer entlang zu einem netten italienischem Restaurant.
Am nächsten Morgen werden wir vom glücklicherweise nur ganz leicht angefressenem Fahrgastschiffer vor dem ersten Frühstückskaffee auf das Schild aufmerksam gemacht. Wir besänftigen ihn mit der Frage, was er uns denn nun für das Anlegen berechnen müsse, worauf er ohne mit der Wimper zu zucken (und ohne eine Quittung anzubieten) „40 Euro“ sagt.
Gleich nach dem Frühstück legen wir ab.

Fahrgastanleger Templin: Kletterpartie zum Italiener

Zwischen Seerosen und zauberhaften Seen

Vom Templiner See aus sind noch vier weitere Seen zu erreichen – einer schöner als der andere. Open Sea Map zeigt sogar noch nette kleine Kanälchen an, die zu weiteren Seen führen, einer führt im Norden des Gleuensee nach Osten und entpuppt sich als eine schmale Rinne, komplett mit Seerosen und Schilf zugewachsen. Gleich daneben ist eine Anlegestelle, die aussieht wie eine ehemalige Verladestelle. Keinerlei Verbotsschilder sind zu sehen, ein Anleger für Abenteuerlustige also. Ein paar Meter weiter westlich ist eine Badestelle, der westlichste Zipfel des Sees ist für motorisierte Fahrzeuge gesperrt.

Nordende Gleuensee. Ehemalige Verladestelle?
Zwischen Bruchsee und Gleuensee: Das ist die breite, hohe Brücke!
Durchfahrtshöhe 3,71 Meter: Brücke zwischen Bruchsee und Fährsee

Anleger für Abenteuerlustige

Wir drehen um und erreichen über den Bruchsee und unter einer ebenso niedrigen (3,71 m) wie engen Brücke hindurch den Fährsee. Neben einer Wasserskistrecke gibt es hier eine weitere Anlegemöglichkeit: das Hotel Fährkrug. Das Hotel selbst ist ein Neubau aus den 90er Jahren, das in beeindruckend schöner Lage am See mit eigenem Badestrand liegt. Es gibt zwei Stege, an einem liegt ein Charterboot, den anderen nehmen wir. In der Mitte des Kopfstegs der ansonsten leeren Anlage sehe ich eine Edelstahlklampe blitzen. Nicht eben ein solider Poller, aber in dieser Ecke weht kein Lüftchen, also springe ich auf den Steg und schlinge die Vorleine um die Klampe. Und habe ein Brett des hölzernen Stegs in der Hand. Upsi!
Das Brett löst sich komplett. So schlinge ich den Festmachter um den darunter liegenden soliden Stahlträger, hinten hat mein Mann einen Dalben eingefangen. Wir kämmen uns die Haare, ziehen ordentliche Schuhe an und gehen durch den Garten auf das Hotel zu.

Anlegesteg für Abenteuerlustige des Hotels Fährkrug am Fährsee.
Fast leere Steganlage des Fährkrugs.


Wenn man die Anlage mit Wohlwollen betrachtet, fällt der Pflegezustand der Außenanlagen unter „naturnaher shabby-chic.“ Auf der Terrasse stehen jedoch einladende und saubere Gartenmöbel, ein Tisch ist besetzt. Wir setzen uns in die Sonne, werden schnell und freundlich in Empfang genommen und mit einer Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken versorgt. Die Soljanka ist reichhaltig mit Einlagen versehen, der Salat knackig, frisch und lecker und das Bier ist kalt und spritzig. Auch das, was beim Nachbartisch auf den Tellern ankommt, sieht gut aus. Nach dem Imbiss gehen wir noch mal nach Innen. Hier ist alles sauber und ordentlich, könnte aber auch mal einen Hausmeister gebrauchen, der Kleinigkeiten repariert. Seitdem ich den Törnplaner mache, kenne ich das Hotel, das immer wieder freundlich aber bestimmt abgewunken hat, nein danke, man möchte nicht im Törnplaner erscheinen. Schade.
An der Wasserskistrecke entlang tuckern wir auf der Suche nach einem weiteren Kanal, den ich als gesperrtes Gewässer eigetragen habe. Und richtig: Eine rot-weiß-rote Tonne (oder war es eine Schild?) versperrt die Einfahrt. Wir richten den Bug nach Süden um uns einen gemütlichen Ankerplatz für die Nacht im Zaarsee zu suchen.
Bei dem gemütlichen Getucker habe ich genug Zeit, den neuen Sattel an meinem alten Fahrrad anzubauen und wieder abzubauen und mit einem Ersatzteil vom alten Sattel wieder anzubauen, damit die Neigung des Sattels zu meinem Körper passt. Glücklicherweise hatte ich Fahrradwerkszeug eingesteckt, weil ich auch bei dem alten Sattel die Neigung verändern wollte.

Zwitschern, tschilpen und Kaltwasser-prusten

Im letzten Winkel des Sees außerhalb von Schilfgürtel und Seerosen lassen wir den Anker fallen und stellen den Motor aus. Stille? Von wegen! Hier zwitschert es, da tschilpt was, es kräht, krächzt, piept, schnattert und raschelt. Kurz: Die Natur haut alles an Geräuschen heraus, was geht. Andere Menschen oder gar Boote sehen wir nicht. Nach dem Essen wird es langsam schummrig, ich zünde eine mitgebrachte Kerze an. Noch romantischer kann es jetzt nicht werden.

Der Sonntagmorgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Nach dem ersten Frühstückskaffee im Bett (es ist Muttertag!) nehme ich allen Mut zusammen und ein Handtuch und klettere die Badeleiter herunter in den Zaarsee. In der ersten Minute japse, pruste und ächze ich in dem doch überraschend kaltem Wasser, dass die Vögel um uns herum verstört verstummen. ,Naja, eine Runde ums Boot wirst du schon überleben,‘ denke ich. Nach der zweiten Runde: ,joar, fünf Minuten hältst du wohl aus.’ Am Ende schwimme ich laut meiner Taucheruhr von Garmin über 800 Meter in einer guten halben Stunde.

Wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, ist das Wasser herrlich. Ich schätze den See auf um die 15 Grad, leider misst meine Uhr die Wassertemperatur nur bei Tauchgängen, ich müsste also vom Boot aus ins Wasser springen und ein paar Meter runter kommen. Das ist mir denn doch zu frisch. Und der Templiner Pegel hat leider keinen Temperaturanzeiger.


Um die Mittagszeit holen wir den Anker hoch und trödeln im strahlenden Sonnenschein durch die beiden Schleusen Templin und Kannenburg die Obere Havel-Wasserstraße zu Tal in Richtung Mildenberg. Auch hier krümmt sich der Fluss mal rechts, mal linksrum gen Süden. Abwechselnd steuern wir und wurschteln unter Deck unser Zeug zusammen, waschen ab, räumen die Schränke wieder ordentlich ein, ziehen die Betten ab, rollen die im ganzen Boot verteilten Ladekabel auf, sortieren den Müll, damit wir bei der Ankunft im neuen Hafen im Ziegeleipark nur noch umladen müssen und unser Transferfahrer nicht warten muss.
Still erreichen wir einen Liegeplatz, stecken den Strom ein, rollen die Festmacher zu Schnecken auf und heben unser Zeug über die Reling. Nach einer guten Stunde Fahrt kommen wir zu Hause an der Müritz an, trinken noch ein kleines Sonnenuntergangs-Bierlein. Für den Sonntagskrimi sind wir jetzt echt zu müde.

Beim Wasser-Camping die Seele baumeln lassen

Beim Wasser-Camping die Seele baumeln lassen

Am 20.04.2022 übernahmen wir an der Kuhnle Werft im Hafendorf Müritz in Rechlin die kleine „Holly“ (Almeria 850) für einen Kurztrip von vier Nächten.

Dank vorhandenem Bootsführerschein konnten wir nach einer kurzen Einweisung in das Boot direkt starten. Die 8,50 Meter lange Holly ist für zwei Erwachsene von der Größe her vollkommend ausreichend. Sperrige Taschen oder Kisten sollte man jedoch besser vor Ort oder im Fahrzeug belassen.

Da es im April noch nicht ganz so warm war und das Wetter teilweise unbeständig, haben wir uns dafür entschieden, das Bimini nicht zurückzubauen.

Dank Bugstrahlruder ließ sich das Boot, insbesondere im Schleusenbereich, einfach manövrieren.

Vom Hafendorf aus starteten wir die Tour am Nachmittag und fuhren über die Müritz in Richtung Mirow. Hier verbrachten wir die erste Nacht bei „Ricks Bootsservice“. Jetzt war rückwärts einparken angesagt.

Da sich jedes Boot natürlich anders verhält, es an dem Tag ziemlich windig war und wir länger nicht gefahren sind, war das Einpark-Manöver eine kleine Herausforderung. Nachdem wir diese gemeistert hatten, wurden wir freundlich durch den Hafenmeister empfangen. Dieser hatte Bootsartikel und Souvenirs in einem kleinen Shop im Sortiment. Brötchen fürs Frühstück konnte man hier auch bestellen.

An diesem Tag waren wir noch der Meinung, es würde reichen, 50 Cent Strom im Automaten zu bezahlen. Diesen Irrtum bemerkten wir jedoch in einer 2 Grad kalten Nacht. Zudem befindet sich bei Holly die Koje direkt über dem Wasserspiegel, wodurch es sich auch von unten kalt anfühlte und das Wasser durch den Wind gegen die Bootswand schwappte. Die erste Nacht war somit nicht ganz so erholsam…

Am 21.04. ging es nach einem leckeren Frühstück über Kleinseen und schöne Wasserstraßen weiter Richtung Rheinsberg. Unterwegs machten wir einen Stopp zum Mittagessen bei „Boot & Mehr“ und übten erneut das Anlegen bei Wind. Bei „Boot & Mehr“ haben wir eine wirklich leckere, frische Pizza gegessen. Außerdem kann man dort direkt am Wasser sehr schön und gemütlich sitzen.

In Rheinsberg angekommen erkundeten wir die Umgebung. Viele Restaurants und Cafés befinden sich in dem touristisch ausgelegten kleinen Örtchen. Hier gibt es beispielsweise eine leckere Metzgerei und eine Eismanufaktur. Selbstverständlich kann man an vielen Orten auch regionalen Fisch essen.

Kurz hinter dem Yachthafen Rheinsberg befindet sich für Motoryachten die Endstation, da die Wasserstraße von dort aus nur für Kleinboote ohne Motor (Kanus etc.) befahrbar ist.

Da wir unseren rauchfreien Lotusgrill dabei hatten, konnten wir wunderbar am Abend draußen grillen und die Momente auf dem Wasser unbeschwert genießen.

Am nächsten Vormittag starteten wir nach einer warmen Dusche im Hafen schon wieder Richtung Ausgangspunkt. Hier entschieden wir uns, einen Umweg in Richtung Osten nach Priepert zu nehmen.

Vorher machten wir einen Mittagsstopp in einer Fischräucherei. Tagsüber war es durch die Sonne so warm, dass wir auch im Frühjahr teilweise T-Shirt Wetter hatten. Bei der Fischräucherei angekommen, wollte der Motor von Holly sich nach einem schwierigen, dem Wind geschuldeten Anlegemanöver nicht mehr ausschalten lassen. So mussten wir einen Techniker der Firma Kuhnle kontaktieren, der sich sofort auf den Weg machte und unser Problem löste, während wir in Ruhe zu Mittag aßen.

Am Nachmittag, im Yachthafen Priepert, hatten wir in der Vorsaison zum Glück keine Probleme, einen Anlegeplatz zu bekommen. Hier kostete jedoch so ziemlich alles extra – sogar ein Toilettengang. Vermutlich deshalb, weil die Gegend wirklich schön ist und sich dort nicht viele andere Anlegeplätze befinden.

Von unserem wunderschönen Platz aus konnten wir im Schilf Tiere beobachten. Ein Schwan erfreute sich an unseren Brotkrümeln und leistete uns am Abend Gesellschaft.

Die letzten beiden Nächte waren dank durchlaufender Standheizung und ruhigerem Wasser auch wesentlich angenehmer.

Der dritte Tag startete sonnig und schön, sodass wir im Freien Frühstücken konnten.

Nun mussten wir uns leider schon auf den Weg Richtung Rechlin machen, da wir noch ein paar Schleusen zu durchlaufen hatten.

Hier mussten wir nie lange warten, weil auf den Wasserstraßen insgesamt aufgrund der Vorsaison noch nicht viel los war. Dadurch war die Tour sehr entspannt und man konnte wunderbar die ruhige Umgebung genießen.

Am Schönsten waren für uns die kleinen, schmalen Wasserstraßen, welche die Seen miteinander verbinden. Denn von hier aus kann man links und rechts am Ufer die Natur und die Tiere am besten beobachten.

Empfehlenswert ist zudem, ein Fernglas zu verwenden, um Ein- und Ausfahrten besser zu erblicken und dadurch besser koordinieren zu können. Auch zur Tierbeobachtung kann man ein Solches perfekt nutzen.

Wir machten nochmal einen Abstecher in Richtung Buchholz, wo wir den Anker warfen, um auf dem Deck in der Sonne zu entspannen.

Grundsätzlich wollten wir eine Nacht auf einem der Seen ankern, wo wir uns jedoch aufgrund der nächtlichen Temperaturen um diese Jahreszeit gegen entschieden.

Gegen Nachmittag beschlossen wir, die letzte Nacht im Heimathafen zu verbringen und fuhren über die Müritz zurück zum Charterpunkt. Der Wellengang war extrem und es war aufgrund des Windes kaum möglich, das Boot auf Kurs zu halten.

Auch diese Herausforderung meisterten wir, ohne uns oder Holly Schaden zu bereiten. Wir legten an und verbrachten eine letzte Nacht auf unserem kleinen Ersatz-Zuhause.

Am nächsten Morgen stand die Rückgabe des Bootes an, welche unproblematisch und reibungslos ablief. Zuletzt wurden die Betriebsstunden abgelesen und ein Bootscheck vorgenommen. Anschließend erhielten wir die zuvor hinterlegte Kaution zurück und traten die Heimreise an.

Der Campingtrip auf dem Wasser war eine tolle Erfahrung mit vielen wunderbaren Eindrücken. Für naturverbundene ist ein solcher Urlaub uneingeschränkt zu empfehlen. Trotz technischer Schwierigkeiten war der Service von KUHNLE-TOURS direkt zur Stelle, sodass dieses zunächst befürchtete Problem zu keinem wurde.

So konnten wir, wenn auch nur innerhalb eines Kurztrip, das Gefühl von Freiheit genießen und ohne uns vorher festlegen zu müssen, selbst entscheiden, welche Route wir wählen. Es bleibt am Ende nur zu sagen, dass der Schlüssel zum Glück darin liegt, sein Geld für Erlebnisse und nicht für Besitz auszugeben.

Mit dem 9-Euro-Ticket zum Boot

Seit dem 1. Juni 2022 kann man drei Monate lang mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für monatlich neun Euro unterwegs sein. Das Ticket habe ich seit einer Woche auf meiner DB-Navigator-App und zur Sicherheit auch ausgedruckt dabei. Damit ich auch am Zielort unabhängig von Verkehrsmitteln mobil bin, habe ich mir ein 20-Zoll-Klapprad zugelegt. Klappräder kann man auf die Maße eines Gepäckstücks verkleinern und neben dem Gepäck verstauen.

Hat geklappt: Das Rad ist im Abteil verstaut.

Für die 9-Euro-Premiere habe ich mir gleich am ersten Tag ein anspruchsvolles Ziel gewählt. Es soll nach Waren an der Müritz gehen und von dort aus mit dem Klapprad durch den Nationalpark nach Rechlin. Vom Hamburger Hauptbahnhof sind erstmal 3,5 Stunden in Regionalzügen zu bewältigen. Um 6:21 Uhr geht es los mit dem RE 1 in Richtung Rostock. Hinter Bad Kleinen öffnet sich der Blick auf den Schweriner See – ein erster Hauch von der Seenlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns.

Durchs Zugfenster: der Schweriner See

In Bützow heißt es in den nächsten Zug umsteigen. Bützow wirkt wie ein verschlafenes Netz mit überdimensioniertem Bahnhofsgebäude, in einschlägigen Kreisen eher bekannt wegen seiner Justizvollzugsanstalt. B&B hieß zu DDR-Zeiten nicht Bed & Breakfast, sondern Bützow und Bautzen, klärt mich mein Gegenüber auf. Mit dem Tagesrucksack auf dem Rücken und dem Bike unterm Arm gehe ich durch den Tunnel zum anderen Bahnsteig. Die Fahrt nach Güstrow dauert nur kurz: eine Station weiter ist die Fahrt zu Ende. Die Zugbegleiterin wundert sich: „Heute fahren alle mit dem gleichen Ticket“. Das vereinfacht die Sache für sie enorm: kein Nachlösen wegen der Nutzung eines falschen Zuges außerhalb des Gültigkeitsbereichs der Karte. Verpasst jemand einen Anschlusszug, nimmt man einfach den nächsten. Notfalls mit einem Umweg, ohne auf spezielle Tarifzonen Rücksicht nehmen zu müssen.

Ticket ohne Fallstricke

Ansonsten entgegen allen Befürchtungen: Keine Drängelei, kein Geschiebe, und Platz genug für alle. Und vor allem kein Stress, weder bei den Fahrgästen noch beim Bahnpersonal. Nach kurzer Wartezeit geht es mit dem Regionalexpress Rostock-Elsterwerda via Berlin weiter nach Waren. Um 9:28 Uhr verlasse ich nach gut drei Stunden Reisezeit über drei Etappen die Bahn.

Aussteigen und ankommen

Noch auf dem Bahnsteig montiere ich mein Bike zusammen, aktiviere meine Tracking-App und mache mich auf den Weg zur nächsten freien Bank im Hafen. Ich finde eine vorm Anleger der weißen Flotte. Die Schiffe kommen mit Fahrgästen an Bord bereits von ihrer ersten Tour zurück. Ich hole mein Fresspaket aus dem Rucksack und genieße das Frühstück im Freien, dazu heißen Kaffee aus der neuen Thermosflasche. An den Sportbootstegen liegen etliche Charterboote. An einer Kormoran weht eine Flagge vom FC Schalke 04. Hier hat sich anscheinend ein Fanclub einen Chartertörn anlässlich des Wiederaufstiegs in die 1. Bundesliga gegönnt. Von der Müritz kommend läuft eine private Kormoran in den Hafen ein.

Schnell finde ich ein Hinweisschild zum Nationalparkeingang und radle in südliche Richtung dorthin. Durch Kiefernwald fahrend umrunde ich den Warnker See und erreiche kurz darauf das Dorf Federow mit der aus Feldsteinen gemauerten Kirche. Ein Stück weiter im Ort lohnt der Besuch des Gutshauses, dessen Restaurant und Biergarten ab 13 Uhr öffnen. Auf dem gut ausgebauten Radweg steuere ich auf Schwarzenhof zu. Vorbei am Specker See und dem Hofsee erreiche ich den Ort Speck. Gelegentlich setzt sich eine Grauammer keck auf einen Busch, lässt ihr Gefieder im Sonnenlicht beinahe golden schimmern und nimmt Reißaus, wenn man ihr zu nahe kommt. Einige Kilometer hinter Speck mache ich am Priesterbäker See eine kurze Rast und fotografiere die Seerosen.

Weiter geht es in kurviger Fahrt zwischen den Bäumen durch nach Boek und anschließend zur Boeker Mühle. Von der Brücke blicke ich auf den Bolter Kanal, wo gerade ein Paddler sein Kajak zum Umtragen fertigmacht. Der Bolter Kanal war bis zur Eröffnung des Mirower Kanals im Jahr 1936 der reguläre Schifffahrtsweg zwischen der Müritz und der Havel. Neben der Mühle machte die Bolter Schleuse den Job der heutigen Schleuse in Mirow. Neben Sportbooten verkehrten durch den Bolter Kanal Fahrgastschiffe und Frachtkähne mit Ziegelsteinen aus Zehdenick. In jenen Jahren soll hier Hermann Görings Jagdrevier gewesen sein. Er fühlte sich von dem Trubel auf dem Kanal gestört, was zur Verlegung des Schifffahrtsweges weiter nach Süden geführt haben soll. Das erzählt einer der Müritzfischer, deren Restaurant einen tollen Blick auf die Teiche gewährt.

Die Bolter Mühle

Ich gönne mir ein Brötchen mit geräuchertem Matjes und mache mich gestärkt auf die letzte Etappe zum Hafendorf Müritz in Rechlin-Nord. Nach etwa drei Stunden Radeln erreiche ich den Claassee. Am Travellift begegne ich Erich und Maik. Maik ist der Herr der bei Kuhnle-Tours anfallenden Transporte und hat gerade ein Hausboot am Haken. Erich ist die gute Seele der Einweiser und jedem Stammkunden bestens bekannt. Während wir uns unterhalten, bemerke ich am nagelneuen Rad einen Plattfuß. Gut, dass auf dem Gelände vor einigen Jahren eine Verleihstation von RechlinRad eröffnet hat, die auch Schläuche und andere Ersatzteile im Regal hat.

Zeit für Entdeckungen

Bis es gegen 17 Uhr Zeit für die Heimreise ist, bleiben rund vier Stunden für den Aufenthalt im Hafendorf. Genug für eine Bootstour mit einem Kanu oder Kleinboot (auch diese kann man bei Kuhnle-Tours mieten), einen Besuch im Luftfahrttechnischen Museum nebenan, ein Essen im Captain’s Inn oder einen Drink im Beach Club Pirate’s Bar.

Rückfahrt zeitig einplanen

Die Reparatur ist nach einer halben Stunde erledigt und ich kann den Heimweg antreten. Weil der Nationalparkbus mit Fahrradanhänger nach Waren vor wenigen Minuten die Haltestelle auf dem Gelände verlassen hat, entschließe ich mich, bis zum Bahnhof Neustrelitz weiterzuradeln. Das müsste bis 20 Uhr zu schaffen sein. Der Rückweg führt zunächst bis zu den Fischteichen an der Boeker Mühle. Dahinter zweigt die Radroute nach rechts ab, vorbei am Woterfitzsee, der Zartwitzer Hütte und der Ortschaft Krienke nach Granzin. Kurz vor Granzin stoße ich auf die obere Endstation der Lorenbahn Pagelsee, mit der Paddler ihre Boote über die Straße zum Schulzensee umsetzen können.

Die Lorenbahn Pagelsee zum Umsetzen von Booten

Beide Seen werden von der Havel durchströmt, deren Quelle einige Kilometer weiter nördlich im Bornsee ist. Die Navi-App zeigt an, dass es bis zum Bahnhof in Neustrelitz noch genau eine Stunde dauert. Es könnte knapp werden. Hinter Dalmsdorf führt die Straße unter einer Bahnlinie durch. Das kann nur die Strecke Berlin-Rostock zwischen den Bahnhöfen Neustrelitz und Waren sein. Immerhin ein Orientierungspunkt, dass ich nicht vom Weg abgekommen bin. In Kratzeburg entdecke ich ein Hinweisschild, das zum Bahnhof führt. Ich frage eine Anwohnerin, ob hier auch die Regionalbahnen von Berlin nach Rostock halten. Sie bejaht. Ich bin erleichtert, mir nun den Rest der Strecke sparen zu können. Ich radele zum Käbelicksee hinterm Bahndamm zurück, verspeise meinen Proviant und genieße bis zur Abfahrt des Zuges den Blick auf den See und einen eindrucksvollen Regenbogen.

Schöner Schluss: Regenbogen über Kratzeburg

Wer die Tour einmal selbst radeln möchte, sollte sich als Ziel seiner 9-Euro-Tour den Bahnhof Kratzeburg merken. Für Radler startet hier mit 20 Kilometern die kürzeste Route nach Rechlin. Die Radrouten von Waren und Neustrelitz sind etwa doppelt so lang, aber nicht minder spannend. Wer sich das zutraut und nach den Hinfahrt vom Radeln genug hat, zieht für die Rückfahrt den Nationalparkbus nach Waren in Betracht. Allerdings könnte die letzte Abfahrt die anschließende Rückfahrt mit der Bahn vereiteln. Wer es am selben Tag bis Hamburg schaffen will, sollte den gegen 17 Uhr startenden Bus wählen, damit es mit dem Umsteigen in Waren klappt. Die Bahnfahrt von Hamburg Hbf nach Waren dauert ca. drei Stunden, ab Berlin Hbf sind es ca. 1:45 Stunden.

Nicht nur ein Weg führt zum Ziel

Die Variante mit der kürzesten Radstrecke führt mit dem Regionalexpress vom Startbahnhof nach Neustrelitz und von dort mit der Kleinseenbahn RB 16 weiter bis Mirow. Die anschließende Veloroute erstreckt sich über 14 Kilometer durch Lärz vorbei am Rechliner Flugplatz zum Claassee in Rechlin-Nord. Sie verläuft parallel zum Mirower Kanal, schwenkt hinter Lärz über die Lindenallee vorbei am Luftfahrtmuseum, dem Sumpfsee und der Kleinen Müritz zum Ziel.

Die Radtour durch den Müritz-Nationalpark im Überblick

Über eine Tagestour hinaus können auch Bootscharterer mit Bahn und Bus nach Rechlin reisen und ihr privates Klapprad mit an Bord nehmen. Letzteres wird nach der Ankunft in Waren auf den Fahrradanhänger des Nationalparkbusses gepackt und ab geht’s auf eine spannende Entdeckungsreise durch den Park, an deren Ende die Charterbasis im Hafendorf Müritz liegt.

(C) Klaus Neumann