Einfachfahrt in die Einsamkeit

Einfachfahrt in die Einsamkeit

Eine Überführungsfahrt mit Abstecher in die Templiner Gewässser und dem idealen Boot für zwei

„Also lautet ein Beschluss, dass man Zeit zu zweit verbringen muss!“ – Notfalls an der Schleusenwartestelle der neuen Schleuse Kannenburg

Rendezvouspläne am Küchentisch

Die Situation am winterlichen Küchentisch kennen viele berufstätige Paare: Jeder sitzt vor seinem Kalender und man bespricht die nächste Zukunft. Hier hab ich eine Fortbildung, da gehst du noch mal Ski fahren, da ist Filmkunstfest, hier Weltkanalkonferenz, da die Familienfeier, hier noch eine Messe. „Haben wir eigentlich irgendwann noch mal ein langes Wochenende zusammen zum Bootfahren?“
„Ähem. Also Ostern und das 1.-Mai-Wochenende schon mal nicht.“
„Was ist mit dem Himmelfahrtswochenende?“
„Passt!“
„Okay, dann lass uns wenigstens das blocken!“


Ich habe ein Rendezvous! Okay, nach 24,5 Ehejahren und mit dem eigenen Mann und vier Monate im Voraus geplant, aber deswegen muss es ja nicht weniger romantisch sein. Wo wir hinfahren? Das machen wir so wie immer: Mal gucken.
Mittwochnachmittag vor dem Vatertag soll es losgehen. Sonntag vorher komme ich von einer Geschäftsreise wieder, hupe einmal vor dem Büro um den bei offenem Fenster arbeitenden Gatten vom Schreibtisch nach Hause zu locken. Anderthalb Stunden später kommt er zu Hause an.
„Wir gehen ja am Mittwoch aufs Boot.“
„Öh, ja.“
„Haben wir schon ein Boot? Wo wollen wir den hin?“
„Öh, ja, mal sehen.“
Am Montagmittag erscheint der Gatte in meinem Büro und erkundigt sich, was ich davon hielte, einen Oneway nach Mildenberg zu machen. Es gebe allerdings keine schicke Kormoran, sondern eine kleine vetus 900. An der Müritz lägen sieben Stück davon, deswegen solle eine ab der neuen Basis Mildenberg zu chartern sein

Schnuckelige vetus 900

Die vetus 900 ist ein schnuckeliges Plastikboot mit einer Schlafkabine achtern. Das Doppelbett an der Backbordseite hat für Bootsverhältnisse fürstliche Ausmaße und außerdem gibt es eine Einzelkoje an Steuerbord. Im Salon steht zwischen anderthalb Sitzbänken ein großer Esstisch, es gibt Kühlschrank, eine etwas kurz geratene Küchenzeile und reichlich Stauraum für Boots- und Gemüsekiste im Regal. Das ideale Boot für zwei. Die „Picasso“ ist eine von den zwei Jüngsten vetus der Flotte. Anfang der 2000er waren uns zwei leere vetus-Rümpfe von irgendwoher zugelaufen, die auf der Kuhnle-Werft ausgebaut wurden. So sieht die „Picasso“ von innen mit weißen Flächen und dunklen Holzleisten, den blauen Polstern, den gewürfelten Gardinen und hölzernen Innentüren sehr nach Kormoran aus.
Ich schwelge in Erinnerungen an eine Überführung von der Müritz nach Zeuthen vor 25 Jahren. Damals waren wir – noch unverheiratet – mit nur einem Kleinkind (aber einem weiteren für die kommenden sechs Wochen terminiert) mit einer vetus 900 unterwegs gewesen.
„Na, klar, das wird schön!“ Optimismus war schon immer meine Stärke.

Hektik ohne Bier und Kaffee

Mittwochnachmittag: Nunja, die Schleuse Mirow schließt um 18 Uhr, das schaffen wir ohnehin nicht. So gegen halb sechs brechen wir im Büro auf, erst mal nach Hause Sachen packen, Bootskiste checken und so langsam mal auf der vetus ankommen.
Ich schnappe mir aus dem Hafenbüro schnell eine Runde Bettwäsche und Handtücher, werfe sie an Bord und flitze nach Hause. Im Gegensatz zu meinem früh aufstehenden Ehemann, habe ich noch nicht mal Klamotten zusammengepackt.
Die Bootskiste steht auf der Anrichte in der Küche. In diesem Jahr war sie bereits zwei Mal von den Kindern für Törns mitgenommen worden. Ich entferne zwei Flaschen Handseife (eine reicht) und vier Rollen Klopapier (hatte ich an Bord gesehen) und lege das gute Steiner-Fernglas dazu.
„Wo ist unser Reservekaffee?“ fragt der Gatte.
„Ähm, den hatte ich auf Geschäftsreise mit, den hole ich im Büro aus dem Auto.“
„Wo sind denn die ganzen Bierdosen aus dem Keller?“
„Ähm, die hatte ich auch auf Geschäftsreise mit.“ Ich lächele lieb, um zu vertuschen, dass ich die Dosenvorräte nicht wieder aufgefüllt habe.
Sein Blick ist eine Mischung aus Missbilligung wegen illegalem Angriff auf die Bierreserven und Freude über die sparsame Ehefrau, die lieber Getränke von Zuhause mitnimmt, als unterwegs teuer einzukehren.


Also los!
Zwei Reisetaschen, eine Kühltasche, ein Karton mit Wein, Sekt, die Bootskiste, eine weitere Kiste mit Bier, Wasser, Gemüse und Aufbackbrötchen (sind nur vier Stück deshalb greife ich in letzter Minute noch eine Brötchen-Backmischung aus der Speisekammer), sowie zwei Rucksäcke mit Laptops, Ladekabeln und mein großer Ordner für Kartenkorrekturen füllen den Kofferraum einigermaßen. Die Fahrräder sind schon im Hafen, müssen nur noch an Bord.

Wir werfen das ganze Zeug an Bord, ich fahre den Kombi weg. Während mein Mann unter Deck den Kühlschrank einräumt, stecke ich das Stromkabel aus und mache die Leinen los. Ich checke, ob die vetus vorne noch am Nachbarboot fest ist (ist sie nicht), dann schiebe ich den Gashebel nach vorne. Das Bugstrahlruder verweigert den Dienst. „Hmm, wohl nicht aktiviert“, denke ich, drücke ein bisschen am Fahrstand herum, nichts passiert. „Wir müssen nachher mal nach den Bugstrahler gucken“ rufe ich nach unten und fahre erst mal ohne aus dem Hafen.

Endlich unterwegs!

Später übergebe ich das Steuer zum Bettenbeziehen an den Gemahl. So machen wir es immer, einer räumt, der andere fährt und umgekehrt. Als soweit alles verstaut ist, genießen wir zusammen mit einem alkoholfreiem Bier die Fahrt in den sonnigen Abend. Endlich wieder unterwegs! Herrlich! Mein Mann ist in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Wasser, ich durfte an einem windigen März-Tag bereits einmal eine Gruppe Berichterstatter zur Bergung eines Flugzeugmotors chauffieren.

Endlich unterwegs! Auf der Kleinen Müritz verwöhnt uns die Abendsonne.

Tiefenentspannt kommen wir an der Sportbootwartestelle der Schleuse Mirow an. Mangels Bugstrahler legen wir eher unelegant an – egal, wir haben Hunger und das Essen ist fast zeitgleich fertig.
Bei der Fehlersuche nach dem Essen stellen wir fest, dass auch das Radio nicht geht. Da ich morgens keinerlei Geräusche vertrage, finde ich das lässlich, schade ist aber, dass ich nichts zum Laden an die USB-Steckdose anschließen kann.

Vor uns liegen die vier meist befahrenen Schleusen zwischen der Müritz und Berlin und wir haben gute Chancen, morgen früh schnell durchzurutschen und mit etwas Glück ohne Wartezeit auch die nächste Schleuse zu schaffen. Deswegen verzichten wir darauf, den Kuhnle-Tours-Notdienst anzurufen, wir wollen erst mal Strecke machen, damit wir Donnerstagabend in Fürstenberg sind, denn da können wir am Freitag noch einmal einkaufen gehen. Müssen wir auch, denn neben Brötchen und den scharfen Messern fehlt auch das Spüli aus der Bootskiste. Kann man auch mit Handseife abwaschen?

Brötchenduft in der Schleusenkammer

Ich wache am Himmelfahrtstag um acht auf und schleiche mich in den Salon, heize den Backofen vor und rühre die Brötchen-Backmischung an. Große Vatertagsaktion gibt es bei uns traditionell nicht, aber ein ordentliches Frühstück möcht schon sein. Im Bordbackofen dauern die Brötchen länger als auf der Packung angegeben, so dass wir, als die Schleuse pünktlich um neun Doppelgrün zeigt, ungefrühstückt in die Kammer fahren. Je tiefer wir mit der Müritz-Havel-Wasserstraße sinken, um so mehr steigt mir der Brötchenduft aus dem Backofen in die Nase. Hmjam.

Vatertag mit frisch gebackenen Brötchen aus dem Bordofen.

In der Schleuse stellen wir fest, dass wir unsere bewährte Schleusentechnik ändern müssen. Eigentlich stehe ich meist achtern mit der Leine in der Hand, um das Boot hinten zu sichern. Das hat den Grund, dass mein Mann ja den Bug, sollte ein Windstoß ihn zur Seite pusten, immer mit dem Bugstrahlruder zurück auf Linie bringen kann. „Es ist besser, wenn du vorne stehst“, weist der Gatte mich jedoch heute an, dann könne er das Heck mit eingeschlagenem Ruder und einen kurzen Stoß voraus an die Kaimauer ziehen.
Schon in der nächsten Schleuse bringt uns diese Veränderung nach 26 gemeinsamen Jahren auf dem Wasser einen ebenso giftigen wie kräftigen Anranzer eines vor uns fahrenden jungen Sachsen ein. Wir sollten doch bitte unseren „Scheiß-Kahn“ (seine Worte, dabei ist unsere vetus ein feines Bötchen) auf Abstand halten, werde ich unvermittelt angebrüllt. Wir waren tatsächlich ein bisschen dicht an dem schicken Gleitboot amerikanischer Herkunft dran – jedoch weit von einer Berührung entfernt – und ich hatte bereits leise nach achtern meinen Mann gebeten, einen Poller weiter hinten zu nehmen. Naja, wir wollen nicht nachtragend sein, die Sonne schien bereits warm vom Himmel und in dem pechschwarzen Jogginganzug im Partnerlook hätten wir uns auch unwohl gefühlt.

In einem Rutsch nach Fürstenberg

Wir können unser Glück nicht fassen, so schnell kommen wir durch die Schleusen Diemitz, Canow und Strasen durch. Für Himmelfahrt ist wirklich erstaunlich wenig los. Deshalb beschließen wir, bis Fürstenberg durchzufahren, bevor wir irgendwo auf den Notdienst warten und dann nachher doch beim Schleusen Schlange stehen müssen.
Es ist nicht mal 16 Uhr, da legen wir am Fürstenberger Yachtclub an, melden uns beim Hafenmeister und klauben Ein-Euro-Stücke zusammen, die wir für die Stromversorgung und am nächsten Morgen für die Dusche an Land benötigen. Das Duschen ist hier übrigens echt fair geregelt: Man zahlt einen Euro für ein paar Minuten Warmwasser. Unterbricht man den Wasserstrahl aus der Dusche, stoppt auch der Zähler, so dass man nach einem Euro auch sauber und ohne Schaumreste fertig ist.

1-Euro-Münzen für Strom und faire Duschen: Unsere vetus 900 „Picasso“ am Steg des Fürstenberger Yachtclubs.

Mit Buch und einem Glas Sekt mache ich es mir auf dem Achterdeck gemütlich. Silvio Kraballe ist wahrscheinlich der meistgelobteste Kuhnle-Tours-Mitarbeiter. In der Saison ist er der Gelbe Engel von Kuhnle-Tours. Wo auch immer ein Boot ein Problem hat, versucht er zunächst am Telefon zu helfen – oft sind es nur Kleinigkeiten oder Bedienungsfehler. Er hat die Gabe, sich ebenso ruhig wie präzise ausdrücken zu können, so dass viele Chartercrews nach seiner Anweisung von selbst wieder flott werden. Und wenn nicht, kommt er mit seiner fahrenden Werkstatt dahin, wo das Boot ist. Notfalls pumpt er ein kleines Schlauchboot auf und paddelt zum Boot.
Gegen 17 Uhr taucht er mit seinem Werkzeug in einem kleinen Wägelchen am Steg auf, schwingt sich an Bord und steigt in die Tiefen des Motorraums herab. Die Kontakte der Elektrik zum Motor, so erklärt er uns später, korrodieren mit der Zeit. Zuerst gibt es Wackelkontakte, dann geht irgendwann nichts mehr. Nach einer halben Stunde sind die Kontakte wieder blank und reden miteinander, das Bugstrahlruder geht wieder, leider auch das Radio.
Zum Abendessen spazieren wir 500 Meter in den Templiner Hof. Ein Gasthaus, dass direkt an der B 96 liegt, aber einen schönen ruhigen Biergarten hat und einen Koch, der gerne frische Zutaten verarbeitet. Es ist Mai, also bestellen wir von der Spargelkarte und bereuen es nicht.

Genießen in Fürstenberg: Aperol Spritz und Hähnchencurry mit Spargel im Templiner Hof.

Einkaufstour mit Draht- und Packesel

Am Freitag beschießen wir, das der naheliegende Netto-Markt mit Bäcker und Fleischer so dicht ist, dass es sich nicht lohnt, beide Fahrräder an Land zu hieven. Wir könnten ja unsere Einkäufe in einer Tüte verstauen und an den Lenker des leichteren Fahrrads hängen. Nachdem mein Mann mir versichert, dass ich nicht neben ihm herjoggen müsste, verzichte ich auf mein Fahrrad, genauso wie auf den dort angebrachten Fahrradkorb und den Gepäckträger. Seufz.
Es kommt wie es kommen musste: Die prall gefüllte Einkaufstasche scheuert am Vorderrad, ich balanciere ein Sixpack Bier unter dem einen Arm und einen neuen Fahrradsattel (gabs gerade beim Discounter) unter dem anderen und wache dabei mit Argusaugen über ein Schälchen Erdbeeren für den Nachtisch, das ganz oben in der Einkaufstasche liegt.

Jetzt wird es enger: Obertor der Schleuse Bredereiche an der Oberen Havel-Wasserstraße

Bis zur nächsten Schleuse haben wir ein Stück Havel vor uns und den schönen Stolpsee zu überqueren. Dann wird es enger und in schneller Reihe passieren wir die Schleusen Bredereiche, Regow, Zaaren und Schorfheide. Wir folgen der Havel durch dichte Wälder, manchmal auch an weiten Feldern entlang. Der Fluss krümmt sich mal hierhin mal dahin, von Entgegenkommern sieht man erst nur das Verdeck über das Schilf herausragen. Den Autopilot einstellen und die Hände vom Steuer nehmen wie auf dem Mittellandkanal, das läuft hier nicht. Was für ein Gekurbel!

Was für ein Gekurbel! An der OHW ist Kurvenfahrt angesagt.

Kurbelfahrt ins neue Revier

Gleich unterhalb der Schleuse Schorfheide geht es links ab in die Templiner Gewässer. Sieben Jahre war nach einem kurzen Stück Kanal und dem Großen Kuhwallsee die Fahrt zu Ende, denn die Schleuse Kannenburg in der Verbindung zwischen Kuhwallsee und Lankensee war zuerst wegen Baufälligkeit gesperrt, dann wegen Bauarbeiten. Die gingen im Herbst 2023 zu Ende und die Schleuse ging für ein paar Wochen in Probebetrieb. Ende April 2024 erfolgte die offzielle Wiedereröffnung des schicken Neubaus mit Staatssekretärin und großem Bahnhof.

Die neue Schleuse Kannenburg empfängt uns mit grünen Lichtern …
… und einer eigenwilligen Interpretation des Baujahrs. Erste Inbetriebnahme der Schleuse war im Herbst 2023.


Als wir uns der Schleuse nähern, sehen wir gleich rechts am Untertor die in Beton gegossene Jahreszahl 2022. Tja. Mag sein, dass dieses Betonteil 2022 gegossen worden ist. Die Schleuse war definitiv später fertig. Still und umkompliziert lässt sich das gute Stück trotzdem bedienen. Ein großes Display informiert über den Fortgang der Schleusung.

Templin: Für Bootfahrer geschlossen?

Für heute ist der Stadthafen von Templin unser Ziel. Der hatte in der Sperrzeit einen Betreiberwechsel und wurde fast komplett erneuert. Wir freuen uns nach der schicken neuen Schleuse auf einen schicken neuen Hafen und einen abendlichen Bummel durch die schöne Altstadt von Templin. Doch als wir unter der überdachten Pionierbrücke (es ist keine Pionierbrücke, die heißt nur so) hervorkommen und den Bug nach Steuerbord richten, sehen unsere Augen eine schöne neue Steganlage – aber mit Flatterband abgesperrt. Ganz zum Land hin liegt ein Boot quer in der Box, dahinter sehen wir ein Grüppchen nett beisammen sitzen. Wir nähern uns langsam.
„Können wir hier anlegen?“
„Nee.“
„Wo können wir denn anlegen?“
„Gar nicht.“

Anlegen ist nicht. Stadthafen Templin.

Hmpf. „Hausbootferien abseits vom Trubel“ – unter diesem Motto haben wir auf der boot in Düsseldorf, im Katalog, in Pressemitteilungen, auf Facebook und Instagram für die Templiner Gewässer die Werbetrommel gerührt. Soo abseits sollte es denn auch wieder nicht sein.
Wir gehen an den Fahrgastanleger nebenan. Der hat zwar ein hohes Geländer und keinen Stromanschluss, aber irgendwie werden wir das Boot da schon festgebunden kriegen. An dem Geländer prangt ein Schild: „Anlegen nur nach Rücksprache mit dampfer-templin.de.“
Ein paar Meter weiter liegt ein zur Ferienwohnung umgebautes Fahrgastschiff mit Gästen vorne drauf.
„Können wir hier anlegen?“
Eine freundliche Gästin steht auf und nimmt unsere Festmacherleinen an.
„Joar, wer soll schon wat dagegen ham?“
„Ich hab die Handynummer auf der Webseite gefunden“, melde ich meinem Gatten. „Soll ich da anrufen und das klar machen?“
„Nee, lass mal lieber. Nachher schickt der uns weg.“
Wir machen uns landfein, klettern über das Geländer und schlendern an der Stadtmauer entlang zu einem netten italienischem Restaurant.
Am nächsten Morgen werden wir vom glücklicherweise nur ganz leicht angefressenem Fahrgastschiffer vor dem ersten Frühstückskaffee auf das Schild aufmerksam gemacht. Wir besänftigen ihn mit der Frage, was er uns denn nun für das Anlegen berechnen müsse, worauf er ohne mit der Wimper zu zucken (und ohne eine Quittung anzubieten) „40 Euro“ sagt.
Gleich nach dem Frühstück legen wir ab.

Fahrgastanleger Templin: Kletterpartie zum Italiener

Zwischen Seerosen und zauberhaften Seen

Vom Templiner See aus sind noch vier weitere Seen zu erreichen – einer schöner als der andere. Open Sea Map zeigt sogar noch nette kleine Kanälchen an, die zu weiteren Seen führen, einer führt im Norden des Gleuensee nach Osten und entpuppt sich als eine schmale Rinne, komplett mit Seerosen und Schilf zugewachsen. Gleich daneben ist eine Anlegestelle, die aussieht wie eine ehemalige Verladestelle. Keinerlei Verbotsschilder sind zu sehen, ein Anleger für Abenteuerlustige also. Ein paar Meter weiter westlich ist eine Badestelle, der westlichste Zipfel des Sees ist für motorisierte Fahrzeuge gesperrt.

Nordende Gleuensee. Ehemalige Verladestelle?
Zwischen Bruchsee und Gleuensee: Das ist die breite, hohe Brücke!
Durchfahrtshöhe 3,71 Meter: Brücke zwischen Bruchsee und Fährsee

Anleger für Abenteuerlustige

Wir drehen um und erreichen über den Bruchsee und unter einer ebenso niedrigen (3,71 m) wie engen Brücke hindurch den Fährsee. Neben einer Wasserskistrecke gibt es hier eine weitere Anlegemöglichkeit: das Hotel Fährkrug. Das Hotel selbst ist ein Neubau aus den 90er Jahren, das in beeindruckend schöner Lage am See mit eigenem Badestrand liegt. Es gibt zwei Stege, an einem liegt ein Charterboot, den anderen nehmen wir. In der Mitte des Kopfstegs der ansonsten leeren Anlage sehe ich eine Edelstahlklampe blitzen. Nicht eben ein solider Poller, aber in dieser Ecke weht kein Lüftchen, also springe ich auf den Steg und schlinge die Vorleine um die Klampe. Und habe ein Brett des hölzernen Stegs in der Hand. Upsi!
Das Brett löst sich komplett. So schlinge ich den Festmachter um den darunter liegenden soliden Stahlträger, hinten hat mein Mann einen Dalben eingefangen. Wir kämmen uns die Haare, ziehen ordentliche Schuhe an und gehen durch den Garten auf das Hotel zu.

Anlegesteg für Abenteuerlustige des Hotels Fährkrug am Fährsee.
Fast leere Steganlage des Fährkrugs.


Wenn man die Anlage mit Wohlwollen betrachtet, fällt der Pflegezustand der Außenanlagen unter „naturnaher shabby-chic.“ Auf der Terrasse stehen jedoch einladende und saubere Gartenmöbel, ein Tisch ist besetzt. Wir setzen uns in die Sonne, werden schnell und freundlich in Empfang genommen und mit einer Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken versorgt. Die Soljanka ist reichhaltig mit Einlagen versehen, der Salat knackig, frisch und lecker und das Bier ist kalt und spritzig. Auch das, was beim Nachbartisch auf den Tellern ankommt, sieht gut aus. Nach dem Imbiss gehen wir noch mal nach Innen. Hier ist alles sauber und ordentlich, könnte aber auch mal einen Hausmeister gebrauchen, der Kleinigkeiten repariert. Seitdem ich den Törnplaner mache, kenne ich das Hotel, das immer wieder freundlich aber bestimmt abgewunken hat, nein danke, man möchte nicht im Törnplaner erscheinen. Schade.
An der Wasserskistrecke entlang tuckern wir auf der Suche nach einem weiteren Kanal, den ich als gesperrtes Gewässer eigetragen habe. Und richtig: Eine rot-weiß-rote Tonne (oder war es eine Schild?) versperrt die Einfahrt. Wir richten den Bug nach Süden um uns einen gemütlichen Ankerplatz für die Nacht im Zaarsee zu suchen.
Bei dem gemütlichen Getucker habe ich genug Zeit, den neuen Sattel an meinem alten Fahrrad anzubauen und wieder abzubauen und mit einem Ersatzteil vom alten Sattel wieder anzubauen, damit die Neigung des Sattels zu meinem Körper passt. Glücklicherweise hatte ich Fahrradwerkszeug eingesteckt, weil ich auch bei dem alten Sattel die Neigung verändern wollte.

Zwitschern, tschilpen und Kaltwasser-prusten

Im letzten Winkel des Sees außerhalb von Schilfgürtel und Seerosen lassen wir den Anker fallen und stellen den Motor aus. Stille? Von wegen! Hier zwitschert es, da tschilpt was, es kräht, krächzt, piept, schnattert und raschelt. Kurz: Die Natur haut alles an Geräuschen heraus, was geht. Andere Menschen oder gar Boote sehen wir nicht. Nach dem Essen wird es langsam schummrig, ich zünde eine mitgebrachte Kerze an. Noch romantischer kann es jetzt nicht werden.

Der Sonntagmorgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Nach dem ersten Frühstückskaffee im Bett (es ist Muttertag!) nehme ich allen Mut zusammen und ein Handtuch und klettere die Badeleiter herunter in den Zaarsee. In der ersten Minute japse, pruste und ächze ich in dem doch überraschend kaltem Wasser, dass die Vögel um uns herum verstört verstummen. ,Naja, eine Runde ums Boot wirst du schon überleben,‘ denke ich. Nach der zweiten Runde: ,joar, fünf Minuten hältst du wohl aus.’ Am Ende schwimme ich laut meiner Taucheruhr von Garmin über 800 Meter in einer guten halben Stunde.

Wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, ist das Wasser herrlich. Ich schätze den See auf um die 15 Grad, leider misst meine Uhr die Wassertemperatur nur bei Tauchgängen, ich müsste also vom Boot aus ins Wasser springen und ein paar Meter runter kommen. Das ist mir denn doch zu frisch. Und der Templiner Pegel hat leider keinen Temperaturanzeiger.


Um die Mittagszeit holen wir den Anker hoch und trödeln im strahlenden Sonnenschein durch die beiden Schleusen Templin und Kannenburg die Obere Havel-Wasserstraße zu Tal in Richtung Mildenberg. Auch hier krümmt sich der Fluss mal rechts, mal linksrum gen Süden. Abwechselnd steuern wir und wurschteln unter Deck unser Zeug zusammen, waschen ab, räumen die Schränke wieder ordentlich ein, ziehen die Betten ab, rollen die im ganzen Boot verteilten Ladekabel auf, sortieren den Müll, damit wir bei der Ankunft im neuen Hafen im Ziegeleipark nur noch umladen müssen und unser Transferfahrer nicht warten muss.
Still erreichen wir einen Liegeplatz, stecken den Strom ein, rollen die Festmacher zu Schnecken auf und heben unser Zeug über die Reling. Nach einer guten Stunde Fahrt kommen wir zu Hause an der Müritz an, trinken noch ein kleines Sonnenuntergangs-Bierlein. Für den Sonntagskrimi sind wir jetzt echt zu müde.

Hausbootferien auf Rädern

Hausbootferien auf Rädern

Erfahrungen eines Booteinweisers

Was macht ein barrierefreies Boot aus?

Seit es die sogenannten Pontonboote auf dem Binnenchartermarkt gibt, ist Hausboot fahren auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkung attraktiv im Sinne von „machbar“ geworden. Alle Bereiche, mit Ausnahme des nur über eine Leiter oder Treppe zugänglichen Kajütdachs, befinden sich auf einer Ebene und mindestens eine Kabine verfügt über ausreichend breite Türen für den Rollstuhl. Die Nasszelle verfügt über die obligatorische Ausstattung wie Haltegriffe, eine mit dem Boden bündige, befahrbare Duschwanne und einen Klappsitz fürs Duschen. Weiterhin gibt es in der Küche einen unterfahrbaren Bereich damit Spüle und Küchengeräte ohne fremde Hilfe genutzt werden können.

Was ist an Deck anders?

Der barrierefreie Zugang vom Steg führt zunächst aufs Vordeck. Eventuelle Höhenunterschiede werden mit einer stabilen Klapprampe überbrückt, wie man sie von öffentlichen Verkehrsmitteln kennt. Das Vordeck dient als Freifläche und Badeplattform. Es beherbergt den Fahrstand, die vorderen Belegklampen für die Leinen und den Hauptanker. Das auf Booten Reling genannte Schutzgeländer ist je nach Bauart und Optik in Metall oder Holz gehalten. Vorn und an den Seiten befinden sich Öffnungen, die mit Leinen oder Ketten gesichert sind. Die Relingöffnungen dienen dem Betreten und Verlassen des Bootes im Hafen und dem besseren Handling bei Leinenmanövern. Üblicherweise liegen die Boote bei Übergabe mit dem Bug am Steg, weil hier die Relingöffnung breit genug für den Rollstuhl ist. Dementsprechend sollte man unterwegs auch mit dem Bug am Gaststeg festmachen, um bequem an Land zu kommen. Aber auch die seitlichen Öffnungen in der Reling sind breit genug für den Rollstuhle. Vor Anker liegend lässt sich am Bug die Badeleiter ausklappen.

Auch der Fahrstand auf dem Vorschiff ist so gestaltet, dass Rollstuhlfahrer das Boot in bequemer Sitzhaltung steuern können. Das Steuerrad ist ausreichend hoch und die Säule mit dem Steuerrad, dem Schalthebel und den Schaltern für Signalhorn, Lichter und so weiter vom Rollstuhl aus erreichbar. Für den Blick nach achtern sind an beiden Fahrstandüberdachungen Rückspiegel wie bei Bussen oder LKW angebracht. Alternativ oder zusätzlich sind auf bestimmten Booten auch Kameras am Heck verbaut, die über einen Monitor am Fahrstand überwacht werden.

Das leichte Handling schwerer Ausrüstung

Ein weiteres Kriterium nicht nur auf einem barrierefreien Charterboot ist der Anker. Der Hauptanker befindet sich üblicherweise im Bereich des Vordecks in der Nähe des Fahrstands. Je nach Bootsgröße kann der Anker in eine Gewichtskategorie fallen, an der sich vor allem reine Damencrews mitunter schwertun, diesen über Bord zu werfen und wieder hochzuholen. Um sicher zu sein, die richtige Wahl zu treffen, sollte am besten schon bei der Buchung gefragt werden, ob das Boot auch über eine Ankerwinde verfügt, und ob diese manuell oder elektrisch bewegt wird. Der Heckanker ist üblicherweise auf der meist deutlich kleineren Plattform in der Nähe des Außenbordmotors zu finden und für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich.

Soweit die grundlegenden Gegebenheiten auf rollstuhlgeeigneten Hausbooten.

Erfahrungen mit unterschiedlichen Behinderungen

Als Booteinweiser sind mir Gäste mit unterschiedlichsten Einschränkungen begegnet. Unter den Gästen im Seniorenalter ist die Ursache für die körperliche Einschränkung im Idealfall nur dem Alter geschuldet. Diese Gäste haben in jungen Jahren häufig selbst ein Boot gefahren und sind mit den Gegebenheiten an Bord vertraut. Häufig kommen Oma und Opa noch mit eigener Kraft aus dem Rollstuhl heraus, können einige Schritte gehen und den Sitzplatz wechseln. Sie besitzen genügend Lebenserfahrung, um selbst einzuschätzen, wo sie sich trotz ihrer Einschränkungen an Bord nützlich machen können und wann es ratsam ist, sich zurückzuziehen und den Jüngeren das Ruder zu überlassen.

Etwas komplizierter wird es, wenn jemand ohne Bootserfahrung in seinen Bewegungen eingeschränkt ist, zu Beispiel durch einen Schlaganfall, einen Unfall oder eine Amputation. Überlegen Sie, was Sie zu Hause können und nehem Sie sich nicht zuviel vor. Können Sie beherzt und schnell zugreifen? Prima. Falls nicht: Besprechen Sie mit der Crew, wie zum Beispiel bei Anlegen und in der Schleuse die Aufgaben sinnvoll verteilt sind. Das kann bedeutet, dass der oder die Rollstuhlfahrer(in) im Bootsinneren den Blick auf das Geschehen aus sicherer Distanz genießt oder der oder die Rollstuhlfahrer(in) übernimmt als in die Charterbescheinigung eingetragener Schiffsführer den Job am Fahrstand und überlässt das Handling der Leinen den anderen Crewmitgliedern.

Fehlt es allein an der körperlichen Kraft in den Gliedmaßen, um insbesondere das Steuerrad und den Gashebel sicher zu bedienen, und kommt dann noch eine ausgeprägte Pflegebedürftigkeit hinzu, sollte ein Plan B ins Auge gefasst werden. Wird der Gast von Pflegepersonal begleitet, sollte eine der Begleitpersonen als verantwortlicher Schiffsführer zur Verfügung stehen und entsprechend eingewiesen werden. Diese Rollenverteilung sollte idealerweise bereits vor der Reisebuchung geklärt worden sein, damit die pflegende Begleitperson nicht erst an Bord mit der neuen Aufgabe überrumpelt wird. Die pflegebedürftigen und die pflegenden Personen sind in der Regel eingespielte Teams mit einem ausgeprägten Vertrauensverhältnis, sodass am Ende das gemeinsame Bordleben auch in der neuen Umgebung eines Hausbootes eine runde Sache wird.

Eine besondere Erfahrung für einen Booteinweiser ist die Begegnung mit von Geburt an schwer geistig und körperlich behinderten Menschen. Die überwiegend jungen Menschen kommen in Begleitung der Familie. Hier ist besondere Sensibilität gefragt, wenn zum Beispiel der gut gemeinte Handschlag zur Begrüßung beim Betroffenen große Schmerzen auslöst und die Familie ihren Schützling wieder beruhigen muss. Es kommt auch vor, dass der Einweiser ungewollt in die Privatsphäre der Familie eindringt, wenn er dem zukünftigen Schiffsführer zum Beispiel den Außenborder erklärt und dabei die Heckkabine passieren muss, in der das behinderte Kind nach der langen Anreise pflegerisch versorgt wird. Betroffene Familien sollten sich dessen bewusst sein und ihre speziellen Bedürfnisse klar kommunizieren. Dann können sie darauf vertrauen, dass seitens des Einweisers so gut wie alles getan wird, damit die Bootsreise gelingt. Dazu gehört auch, dass die Einweisung über das für die Charterbescheinigung vorgesehene Pflichtprogramm hinausgeht und den individuellen Bedürfnissen der Familie oder Gruppe gerecht wird. Es versteht sich von selbst, dass die Person im Rollstuhl in besonderer Weise geschützt sein muss, sei es durch das Tragen einer Rettungsweste und das seemäßige Arretieren des Rollstuhls während der Fahrt und vor Anker liegend.

Eine Frage des Selbstvertrauens

Wozu Chartergäste mit Mobilitätseinschränkungen in der Lage sind, möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen. Zwei junge Damen haben ein Boot gechartert, die eine mit dem Rollstuhl uterwegs, die andere nicht. Beide erweisen sich auf meine Nachfrage nicht als beste Schwestern, aber als „ziemlich beste“ Freundinnen, die schon andere Herausforderungen gemeinsam gemeistert haben und offen für Neues sind. Die Beiden haben sich darauf verständigt, dass die Dame im Rollstuhl Schiffsführerin ist. Ich frage nach ihren körperlichen Möglichkeiten und erfahre, dass unterhalb der Gürtellinie eine vollständige Lähmung vorliegt und ein kurzfristiges Verlassen des Rollstuhls nicht möglich ist. Der Oberkörper ist jedoch beweglich und die Arme sind in vollem Umfang zu gebrauchen. Ich frage weiter nach der Fahrtroute. Diese soll nicht in die nächstbeste Ankerbucht um die Ecke, sondern gleich zur nächsten Schleuse führen. Während viele andere Bootchartergäste ohne Handicap Schleusen so gut es geht meiden, sehen die beiden darin nur eine weitere Challenge unter vielen bereits absolvierten. Respekt, Respekt!
Nun stehe ich als Einweiser vor der Herausforderung, den beiden zu erklären, wie sie zu zweit das Boot möglichst stressfrei an die Schleusenwand schieben, die Leinen elegant an einer Befestigungsmöglichkeit durchkriegen und anschließend während des Schleusens die Leinen führen. Wir finden eine Lösung und machen auch gleich eine „Trockenübung“ an der Spundwand, an der sich Befestigungsbügel ähnlich denen in einer Schleuse befinden. Anschließend machen wir abweichend vom Standardprogramm noch einen kurzen Abstecher zur Ansteuerungstonne, um ein Gefühl für die Wellen der Müritz zu bekommen. Während die „ziemlich beste“ Freundin das Gepäck an Bord bringt, schiebe ich die Skipperin zur theoretischen Unterweisung. Am nächsten Vormittag fahren sie das Boot ohne die bei Anfängern üblichen Schlangenlinien durch den Kanal auf die Müritz und kriegen ebenso elegant die Kurve in Richtung der roten Tonnen entlang des Südufers.

Fazit: Es ist vieles möglich, wenn man nur will und sich nicht von Schicksalsschlägen davon abbringen lässt. Wenn meine Einweiserkollegen und ich Chartergästen dabei helfen können, ihre individuelle Dosis an Selbstvertrauen zu finden, haben wir uns das Feierabendbier an der Beach Bar redlich verdient.

Text: Klaus Neumann

Fotos: Kuhnle-Tours / Harald Mertes